338
14. (4. öffentl.) Versammlung des IV. Vereinsjahres.
dass mir gerade die sogenannte volkstümliche Poesie der Deutschen über die Sänger der Freiheitskriege und selbst Uhland hinweg noch nicht den richtigen, einfachen Ton gefunden zu haben scheint, welcher die Kluft zwischen Kunstpoesie und Volkslied überklingt. Güthe, . . . Uhland . . . . und Heine haben Jeder in einzelnen Liedern diese Herrschaft über das Volksgemüth gewonnen, fast nur zufällig. Einen gebildeten Dichter der ganz volkstümlich empfand, haben wir noch nicht gehabt. Unter- dess macht sich der Soldat am besten seinen bescheidenen Liederbedarf selbst. Von Allem, was aus unsern Kreisen in diesem Kriege dem Heere zugebellmaust wurde, hat sich blitzschnell nur das Chassepotlied des Kladderadatsch verbreitet, obgleich es nach Rhythmus und Text dem Soldaten nicht völlig bequem ist. Aber es hat einzelne Stellen, wie: „Immer feste auf die Weste“, die nebst der beherzten Tendenz dem Heere durchaus liebenswert sind“.
Nun, dergleichen ist dem Soldaten nicht nur im Felde „durchaus liebenswert“, sondern überall recht. Personen, die gründlichen Einblick in jene zu Hause oder in Kasernen geschriebenen Sammlungen thun können, versichern, dass die am meisten beliebten Lieder Nichts zu wünschen übrig lassen, was drastischen Ausdruck, Derbheit und Keckheit anbelangt. Von diesem Superlativ der Soldaten - Poesie Kenntniss zu nehmen, muss ich natürlich Ihren persönlichen Bemühungen überlassen.
Ehe wir uns mit der Gegenwart beschäftigen, sei in Kürze an die Herkunft und Geschichte des Soldatenliedes erinnert.
Da können wir zurückschauen bis zu Tacitus, der von den Schlachtgesängen unserer Vorfahren berichtet. In jenen gewaltig klingenden Gesängen feierten die Germanen die Thaten ihrer Nationalhelden, welche dadurch mehr und mehr den Göttern nahe gerückt wurden.
„Leider“ — sagt H. Ziegler in seinen „Deutsche Soldaten- und Kriegslieder aus fünf Jahrhunderten“, 1386-1871, (Leipzig Breitkopf & Härtel) — „ist uns kein einziges Zeugniss dieser Heldengesänge erhalten. Wir wissen nur, dass sich schon in jenen Zeiten die Poesie versöhnend und erquickend durch das rauhe Kriegerhandwerk zog und — auf die rein innerliche Erregung verzichtend — zur Handlung überleitete. Die begeisternden Heldenlieder wurden bei den Gelagen, welche den Schlachten vorangingen, und bei Beginn des Kampfes gesungen; und zwar haben wir uns den Vortrag so zu denken, dass einige Vorsänger das Lied, die Heerhaufen nur den Refrain sangen. — Das Kriegslied im modernen Sinn tritt erst im 14. Jahrhundert auf, in welcher Zeit die Schweizer Blut und Leben für Freiheit und Vaterland dransetzten. Der Tag, welcher den vier Waldstätten den ruhmvollen Sieg über das übermüthige Oesterreich brachte — der Tag der Schlacht bei Sempach (1386) — ist der Geburtstag des volksthümlichen Kriegsliedes.