Ttieodor Fontane über das Berlinertum seit Friedrich Wilhelm III.
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kennst mir doch“. — Diese Tage des „Fest’s der Handwerker“, der „Wiener in Berlin“, der „Reise auf gemeinschaftliche Kosten“ brachen jetzt an und schufen, indem sie die Verschmelzung vollendeten, jene weltbekannte Anschauungs- und Ausdrucksweise, die sich mit dem Begriffe des „richtigen Berliners“ deckt, der nun bei Hofe (man denke nur an den damaligen Kronprinzen! gerade so gut existierte wie draussen bei Liesens oder auf dem Wollankschen Weinberge. Das Jahr 30, vielleicht das ganze Jahrzehnt von 30 bis 40, war der Höhepunkt dieser eigenartigen Erscheinung, ein Höhepunkt der Familiarität, der freilich — was auch damals schon von sehr vielen empfunden wurde — keineswegs ein Höhepunkt in allen Stücken war. Vielfach das Gegente'il. Es war, und zwar in einem unglaublichen und auf die Dauer geradezu staatsgefährlichen Grade, die Herrschaft der Mittelmiissigkeit, Verschwommenheit und Trivialität, die Herrschaft des Witzes quand mfmie, des Witzes, dem jede Rücksicht auf Andres, unendlich Wichtigeres untergeordnet wurde. Jeder Minister war langweilig, ledern und gleichgültig, aber Beckmann war ein Gott. Ich glaube, dass man diesen Satz, so weit Berlin in Betracht kommt, zur Formel für jenes Jahrzehnt erheben kann. Dazu kam, dass die Witze, auch rein als Witze angesehen, meist sehr anfechtbar und einer aufbessernden Veränderung dringend bedürftig waren. Und dieso Veränderung kam denn auch. Aber während dieselbe für eine literarisch gebildetere Form sorgte, liess sie doch alles, was im Kern der Sache Gutes gewesen war, fortbestehen, will sagen, es blieb in Berlin im Wesentlichen, wenn auch verfeinert, bei dem Typus, den besonders die letzten 50 Jahre, also die Jahre seit dem Tode Friedrichs des Grossen herangebildet hatten. An die Stelle des Witzes von Angely, Beckmann, Glasbrenner trat der Heinrich Ileinesche Witz, der, gemeinschaftlich mit den Mephisto-l’arthieen aus Goethes Faust, alle Klassen, Dis weit hinunter, zu durchdringen begann, bis abermals einige Jahre später der politische Witz den literarischen ablöste. Die mit 48 ins Beben tretenden WVtzblätter, dazu die das Berliner Leben schildernden Stückt* (David Kalisch voran) und schliesslich das wohl oder übel immer mehr in Mode kommende, sich aller Tages-Ereignisse bemächtigende Couplet-'Wesen, schufen das, was wir das moderne Berlinerthum nennen, ein eigentümliches Etwas, drin sich Übermut und Selbstironie, Charakter und Schwankendheit, Spottsucht und Gutmütigkeit, vor allem aber Kritik und Sentimentalität die Hand reichen, jenes Etwas, das, wie zur Zeit Friedrich Wilhelms 111. (nur witziggeschulter und geschmackvoller geworden), auch heute wieder alle Kreise durchdringt, bei Hoch und Niedrig gleiclnnässig zu finden ist, und bereits über den unmittelbaren Stadtkreis hinaus seine Wirkung äussert.
Vor 400 und auch noch vor 200 Jahren war Berlin eine mi'u'kische Stadt und stand unter dem Einfluss märkischen Lebens, jetzt ist das
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