Heft 
(1897) 6
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Erinnerungen an Kaiser Wilhelm I., den Grossen.

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Aber nicht blosser Eroberer will Napoleon sein, sein Stolz strebt nach Höherem. Er will auch berechtigter Zugehöriger der alten Fürsten­häuser werden. Er trennt sich von seiner Gemahlin, er führt die Kaiser­tochter aus Europas stolzestem Herrscherhause heim; fünf Königinnen tragen der Kraut bei der Vermählung die Schleppe. Und als ihm im nächsten Jahre, 1811, ein Sohn geboren wird, fühlt er sich auf dem Gipfel seiner Wünsche, seines Glücks. In der alten Kaiserstadt Aachen steht auf dem Marktbrunnen das Standbild Kaiser Kails des Grossen. Aufhöheren Befehl wird, wie berichtet wird, bei der Nachricht von der Geburt des kaiserlichen Prinzen, der den stolzen TitelKönig von Born führt, dieses Standbild von seinem Postament gehoben und durch die Strassen getragen. Auf dem Scepter des alten Kaisers aber liest man in deutscher und französischer Schrift die Worte:Nur Napoleon ist grösser als ich (je ne suis surpasse <pie par Napoleon).

Wie schnell ist die Herrlichkeit des Herrschers an der Seine ge­schwunden, ist dieser von seiner Höhe gestürzt!

Am 27. Februar 1813 erhält der sechszehnjährige Prinz Wilhelm auf französischer Erde die Feuertaufe, er erwirbt sich das wohlverdiente eiserne Kreuz, das er durch sein ganzes Leben besonders wert hält. 1815 wird Prinz Wilhelm konfirmiert. Er schreibt selbständig verfasste Lebensgrundsätze nieder, aus denen folgende Sätze hervorgehoben werden Biogen:Meine Kräfte gehören der Welt, dem Vaterlande.Ich willein aufrichtiges Wohlwollen gegen alle Menschen, auch gegen die geringsten denn sie sind alle meine Brüder bei mir erhalten und beleben. Ich will das Verdienst aufmuntern und belohnen und besonders des bescheidene und verborgene an das Licht ziehen.Nie will ich des Gute vergessen, das mir von Menschen erwiesen worden.Den Pflichten des Dienstes will ich mit grosser Pünktlichkeit nachkommen und meine Untertanen zwar mit Ernst zu ihrer Schuldigkeit anhalten, aber flmen auch mit freundlicher Güte begegnen. Verderbte Menschen lud Schmeichler will ich entschlossen von mir weisen. Die Besten, die geradesten, die Aufrichtigsten sollen nur die Liebsten sein. Die will Ich für ineine wahren Freunde halten, die Mir die Wahrheit sagen, ^o sie mir nussfallen könnte. Durch sein ganzes langes Leben, das Wissen wir, ist Prinz Wilhelm diesen Lebensregeln auch als König und Kaiser treu geblieben.

Im Jahre 1827 äussert sich Freiherr von Gagern über den Prinzen: »Die edelste Gestalt, die man sehen kann, der Imposanteste von allen. Dabei schlicht und ritterlich, munter und galant, doch immer mit Würde. Welche Wandlungen hat Kaiser Wilhelm durchgemacht, welche Schick­sale erlitten! W r ie ist er verehrt, geliebt worden! Aber auch der Hass hat nicht gefehlt. Wir älteren Männer erinnern uns noch lebhaft des