Heft 
(1897) 6
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7. (5. ausserordl.) Versammlung des VI. Vereinsjalires.

die Kapitelsstube, das Archiv mul die Bibliothek, das westliche diente Wirtschaftszwecken und enthielt ausser Vorratskammern Zellen der Stifts­brüder und einen Gefängnisraum. Das südliche Haus ist auch jetzt noch das interessanteste, da es den sogenannten Paradiessaal, das grosse Refektorium, umschliesst, ein Gemach von .'SO Meter Länge, S Meter Breite und 4,5 Meter Höhe, welches durch seine kunstvollen Kreuz- und Stern­gewölbe ausgezeichnet ist. Die Wände und Gewölbekappen dieses histo­rischen Raumes sind vor kurzem durch ornamentale und figürliche Malereien ausgeschmückt worden und dieser Schmuck erhöht nach seiner Vollendung die Gesamtwirkung des Ganzen in hohem Grade. Der Saal, welcher ehemals als Speise- und Versammlungszimmer der Stiftshrüder benutzt wurde, wird jetzt als Aula der Schule und zum katholischen Militärgottesdienst verwendet. In einem Schranke an der Westseite be­findet sich eine kleine Sammlung von prähistorischen Funden.

Von den Fenstern des Paradiessaales, sowie von der Brüstung des Domberges hat man eine entzückende Fernsicht auf das umliegende Land. Dicht unter uns gucken die roten Dächer der Weinbergstrasse aus dem buschigen Grün hervor, das die Berglehne entlang klettert; vor uns liegt- die Stadt auf der von der Havel umflossenen Insel; von Südosten her schlängelt sich die Havel durch die grünlich schimmernden Wiesen in zahllosen Armen dahin und setzt ihren Weg in gerader Richtung nach Norden fort, wo sie zwischen Quitzövel mul Werben in der Nähe der alten Wahlstatt Pritzlawa in die Elbe mündet. Die breite Wasserfläche der Elbe ist bei hellem Wetter stellenweise ebenfalls sichtbar: westlich wird sie vom Mühlenholz verdeckt, südlich aber, bei Sandau, dessen umfangreiche Basilika sieh kraftvoll vom Horizonte abhebt, schimmert das glitzernde Silberband des Flusses zu uns herüber. Weit hinein ins Land, in die Altmark und Priegnitz, schweift unser Blick, und die alt­historischen Stätten, welche aus verschwommener Ferne herübergrüssen, wecken ebenso viele Erinnerungen aus der tausendjährigen Geschichte Havelbergs und der Mark Brandenburg in uns. Dort im Süden die alte Kaiserburg Tangennünde, daneben der Stendaler Dom, weiter nördlich die Wahlstatt Walsleben, dann Arneburg, Osterburg mul Sandau, westlich die Johanniterkomthurei Werben und der Rittersitz Quitzövel, im Norden die gewaltige Kathedrale von Wilsnack, ferner Wittenberge und Perleberg welche Epochen märkischer Geschichte ziehen heim Ausblick auf diese Orte an unserm Geiste vorüber! Wahrlich, hier oben auf der Höhe des Domberges ist ein sehr geeigneter Ort, um sich in die Vorzeit unseres Heimatlandes zu versenken, übei diese Berglehne, über diese Niederung sind so mannigfache Kriegsstürme hinweggebraust, hier oben gewinnt alles wieder Leben und tritt deutlich wahrnehmbar vor unser Inneres.