Dr. Carl Platner, Ein Bruchstück aus der ältesten Geschichte Brandenburgs. 159
und Zuständen der festländischen Heimat der Angelsachsen ruht und uns mitten hinein in das bewegte Getriebe der Völkerwanderung versetzt. Der weitgewanderte angelsächsiche Sänger will auf seinen Fahrten durch die Gebiete der deutschen Geschichte und Heldensage auch den König Ermanarich und die Herelinge (Ilarlunge) besucht haben. Wie sehr uns aber auch seine Stabreime anziehen mögen, noch wichtiger ist für uns, dass der älteste Teil der Pegauer Annalen, die früher sogenannte Vita Wiperti*), um die Mitte des zwölften Jahrhunderts die Genealogie des Grafen Wiprecht von Groitzsch unmittelbar an die Harlunge anknüpft. Dabei wird der Wohnsitz des Vaters der Harlunge geradezu nach Brandenburg verlegt, ebendahin, wo um dieselbe Zeit unser brandenburgischer Harlungeberg zum ersten Mal aus dem Nebel der Vorzeit emportaucht. Man dachte sich eben damals den Wohnsitz der Harlunge meist noch im Osten der Elbe. Auch in der Gegend von Brandenburg selbst muss die Erinnerung an diesen bedeutenden Teil der deutschen Heldensage noch lebendig gewesen sein; der Name Harlungeberg würde sicli sonst schwerlich erhalten haben.
Aber die Aussicht von dieser Anhöhe gestaltet sich noch umfassender. Der Name der Harlunge hängt aufs engste zusammen mit dem Volksnamen der Heruler, und wir werden somit an einen deutschen Volksstamm erinnert, der im Laufe der Völkerwanderung in den verschiedensten Teilen von Europa aufgetreten ist: bald an der Ostsee, bald am schwarzen Meere, bald an den Küsten von Gallien, bald in den Ebenen der mittleren Donau, endlich auch in Italien. Seine Wohnsitze, von denen die verschiedenen Wanderscharen zu verschiedenen Zeiten ausgingen, haben wir jedenfalls in der Nähe der schon von Tacitus erwähnten Avionen zu suchen; mit diesen in Gemeinschaft werden Heruler in den Jahren 289 und 291 als beutelustige Eindringlinge in Gallien genannt. Der uns hierüber berichtet hat, der Panegyriker Mamertin, setzt zu ihrer Charakteristik noch hinzu: Chaviones Erulhpie viribus primi barbarorum, locis Ultimi.**) Die Sitze dieser Völkerschaften, deren Kriegshaufen sich in solcher Weise zusammengesellten, müssen wir uns demnach fern von den römischen Grenzen, in naher Nachbarschaft zu einander denken, und da die Avionen zu dem alten Bunde der Nerthus-Völker gehörten, der etwa das heutige Schleswig- Holstein, Mecklenburg und die anstossenden Gebiete umfasste, so haben auch ihre Waffengefährten, die Heruler, gegen das Ende des dritten Jahrhunderts ungefähr in denselben Landstrichen gewohnt. Ebendahin weist uns dann zwei Jahrhunderte später ein Ausdruck des Sidonius Apollinaris aus der Regierungszeit des westgotischen Königs Eurich:
*) Pertz, M. G. SS. XVI. 234.
**) Kasp. Zeuss, Die Deutschen und die N achbarstämme S. 477. 478.
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