Dr. Carl Platner, Ein Bruchstück aus der ältesten Geschichte Brandenburgs. 1 Bl
in die Gegenden, wo die Stammsitze der Heruler lagen, zurückgeführt.
Ein höchst merkwürdiger Reisebericht!
Zwar die Insel Thule verdankt, ihre Erwähnung wohl nur der Phantasie von Prokops herulischen Gewährsmännern, bei denen aus weit älterer Zeit noch die Erinnerung an ihre skandinavische Herkunft lebendig war und nun in die Erzählung von der Fahrt ihrer reisigen Volksgenossen mit hereinspielte. Aber dass diese letzteren überhaupt nach Norden und Nordwesten abgezogen sind, um dem Römerdienste zu entgehen, kann keinesfalls bestritten werden, und was sie über die von ihnen berührten Länder und Völker durch Vermittelung der anderen Heruler überliefert haben, ist lm höchsten Grade lehrreich. Besonders wichtig für uns ist ja schon der Umstand, dass sie überhaupt daran denken konnten, eine so weite Fahrt, nach dem Norden zu unternehmen; denn wenn sie etwa nicht gewusst hätten, dass sie dort oben Stammesgenossen treffen würden, so wäre ihre. Fahrt in die Ferne überhaupt nicht zu erklären. Bei den Ostsee-IIerulern suchten sie Aufnahme und Heimat; dieser Grundstock ihres Volkes, von dem ihre eigenen Vorfahren einst ausgega ngen waren muss also damals noch irgendwo in Norddeutschland zu finden gewesen sein, wahrscheinlich in der Nähe der Warnen, die im heutigen Mecklenburg wohnten.
Von den Ostsee-IIerulern hat sich aus derselben Zeit noch eine andere Spur ihres Daseins erhalten; nur hatten sie sich allmählich auch etwas mehr landeinwärts nach Thüringen hin ausgebreitet, oder es war vielmehr wohl nur eine Abteilung ihres Volkes dorthin gezogen. Der Ostgotenkönig Theodorich sandte i. ,1. 507 an den König der Heruler, den König der Warnen und den König der-Thüringer einen gemeinschaftlichen Brief (aufbewahrt in Cassiodors Varien III, 3), der nach seiner ganzen Ausdrucksweise, sobald man ihn mit Aufmerksamkeit liest, nicht anders verständlich ist, als indem man sich die von diesen Königen beherrschten Länder einander benachbart denkt. Die drei Könige werden durchaus als zusammengehörig betrachtet, und am Schlüsse seines Briefes sagt, Theodorich: ut vos, qui nostrum sequitnini, Deo juvante, dispositum, unus vos complectatur assensus. Diese Worte lassen ein gemeinschaftliches Auftreten der Könige erwarten, welches nur möglich war, wenn ihre Reiche sehr nahe bei einander lagen*). Demnach kann die Existenz eines Heruler- Reiches in unmittelbarer Nähe des thüringischen und des warnischen Reiches am Anfang des sechsten Jahrhunderts durchaus nicht bezweifelt werden.
Eine genauere Angabe, wo > sich dieses Heruler-Reich wohl befunden haben mag, wird vielleicht zu ermöglichen sein, wenn wir das halbe
*) Forschungen zur deutschen Gesch. XVII, 459 Anm. 2.