210
K.. Altrichter, Der Rosenthaler Gold- und Silberfund.
über, welches in seinem mittleren Teile sich aus der sonst ebenen Fläche massig herauswölbt. Unschwer ist darin der zu den Beinen gehörige Körper zu erblicken. Hiernach könnte in der gezickzackten Fortsetzung des Rumpfes nur ein Schwanz gesehen werden, der sich nach unten verbreitert. Eine Umschau im Tierreiche verweist auf einen Vogel. So einfach es nun wäre, das nun folgende Obergestell als Kopf zu betrachten, so falsch würde diese Deutung sein, wenn man die Einzelheiten genauer ansieht. Von dem sich herauswölbemleu Teil des Körpers gehen zunächst zwei Stege schräg nach aussen sich wendend nach oben und münden etwa da, wo links noch die sphärisch dreieckige Einbuchtung erhalten ist; von da wenden sie sich wieder nach innen, so dass sie in ihrem oberen Teile ein Dreieck umschliessen, woran sich links ein schnabelartiger Ansatz schliesst, der rechts (bei a Figur 10) zum grösseren Teil abgebrochen ist. Wenn man nun annimmt, dass das nach oben sich verbreiternde Viereck zwischen den beiden Stäbeu der Hals des Vogels ist, so stellt das Dreieck den Schädel dar, der aber wunderbarer Weise einen doppelten, nach rechts und nach links hin liegenden Schnabel hat. Dass nur der an das Dreieck anschliessende Teil den Schnabel darstellt und nicht die ganze geöffnete Partie des Oberteils, beweist der Umstand, dass durch eine erhabene Linie die Schnabelkanten des geschlossenen Schnabels erkennbar gemacht sind.
Wie soll man sich nun den Doppelschnabel erklären? Geht man davon aus, dass hier ebenso wie im Brakteaten ein Hinweis auf Sage oder volkstümliche Vorstellung enthalten sein soll, so braucht man sich nur bei anderen Kulturvölkern umsehen, um den Grundbegriff der Verdoppelung zu finden. Bei den Indiern, bei den Römern, bei den Slaven finden sich mehrfach Gottheiten, die in einzelnen Gliedern und Körperteilen eine abnorme Vielheit aufweisen, eine Venus, die mit vielen Brüsten dargestellt, die göttliche Nährkraft, vielannige Götter die Allmacht, namentlich die Unbesiegbarkeit im Kriege, Vielköpfigkeit die grösste Weisheit im Regieren zum Ausdruck bringt. Hierzu gehört auch Baldurs achtbeiniges Ross. Die Römer verehrten in Janus, dem Gott mit dem Doppelgesicht, nicht nur den Gebieter über Krieg und Frieden, sondern auch den Behüter der Ein- und Ausgänge und stellten ihn dar mit einem Gesicht, das vorn aus sah, und einem anderen, das nach hinten sah. Wenn man sich die Bedeutung dieses Doppelgesichts in seiner inneren Bedeutung klar macht, so kommt man darauf, dass das eine Gesicht in die Vergangenheit zurück, das andere in die Zukunft vorausblickt. Die Verknüpfung der Vergangenheit und Zukunft ist aber die Grundlage weiser Handlung, die aus der Voraussicht und Vorsicht entspringt.