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H. Pieper, Parchent und einige ähnliche Namen.
die genannten Strassen, die beide Hinter- resp. Mauerstrassen sind, ihre Benennung nach den Erkern erhielten.
Noch andere Benennungen sind zwar ihrem Wortlaute nach klar, aber inan sieht nicht ohne weiteres ein, wie sie dazu kommen, die betreffende Oertlichkeit zu bezeichnen. Zwar für Seide n- und das daneben vorkommende S eitenb eutel, ein Name, der z. B. in Spandau, Rathenow, Freienwalde und Wriezen vorkam oder noch jetzt vorkommt, findet jeder, der des Plattdeutschen mächtig ist, sofort die Erklärung: es ist durch Missverständnis entstellt aus dem niederd. 'siden-büdel, d. h. Seiten-ge-bäu, in dem später hinzugekommene Bürger ihre Wohnungen hatten. Schwieriger gestaltet sich die Sache, wenn wir z. B. (bei 0. Kuntzemüller, Ur- kundl. Gesch. der Stadt u. Festung Spandau, daselbst 1881, S. 14) lesen, dass in dieser Stadt bis zu dem J. 1764, wo verschiedene Strassen- namen umgeändert wurden, der zwischen dem jetzigen Potsdamer Thor und der Breitenstrasse gelegene Teil der heutigen Mauerstrasse die Bezeichnung „Unvernunft“ geführt habe. Auch hierüber giebt das mittelniederdeutsche Wörterbuch Aufschluss (V S. 89), indem es unter dem Worte „unvornunft“ zunächst die Erklärung des Lexikographen Frisch anführt („Vernunft, examen, da man einen gerichtlich vernimmt; Unvernunft, tortura, quaestio, ohne lang mit andern examina vorzunehmen“) und dann aus andern Autoren Stellen beibringt, aus denen sich die Bedeutung „Werkzeug zum Foltern“ ergiebt. Wir werden m. E. nicht fehl gehen, wenn wir annehmen, dass man hier in Spandau, wie auch sonst wohl in andern Städten, mit dem Namen „Unvernunft“ den Ort bezeichnete, wo in früheren Zeiten die Tortur, event. auch die Hinrichtung der Delinquenten vollzogen wurde. Dazu stimmt, dass nach Dilschmann (Diplom. Gesch. u. Beschreib, der Stadt u. Fest. Spandow, Berlin 1785, S. 53) die 1751 vor das Potsdamerthor in die Nähe des — späteren — Hochgerichts (auf dem jetzt so genannten Galgenberge) verlegte Scharfrichterei vor dieser Zeit sich innerhalb der Stadt dicht an der Mauer befand, also vermutlich an der Stelle, wo vordem die „Unvernunft“ war.
Ich habe hier nur einige wenige Namen herausgegriffen, deren Deutung mir gerade zur Hand war; aber diese paar Beispiele werden, so mein’ ich, genügen, um zu zeigen, dass man noch verschiedene Aufschlüsse von solchen — richtig gedeuteten — Ortsbezeichnungen erwarten darf. Freilich verschwinden diese alten Benennungen, wenn sie überhaupt noch im Gebrauch sind, immer mehr und mehr, weshalb es höchste Zeit sein dürfte, dieselben so viel wie möglich zu sammeln. Gilt doch für sie dasselbe, was man schon so häufig inbetreff der Flurnamen gesagt hat, wofür es mir erlaubt sein mag die beherzigenswerten Worte A.Brückners (Arch. f. slav. Phil. IX, J. 1886, S. 147) zu wiederholen:
„Zum Schlüsse eine Auffordenmg: man beschränkt sich in der