Heft 
(1897) 6
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H. Pieper, Parchent und einige ähnliche Namen.

die genannten Strassen, die beide Hinter- resp. Mauerstrassen sind, ihre Benennung nach den Erkern erhielten.

Noch andere Benennungen sind zwar ihrem Wortlaute nach klar, aber inan sieht nicht ohne weiteres ein, wie sie dazu kommen, die be­treffende Oertlichkeit zu bezeichnen. Zwar für Seide n- und das daneben vorkommende S eitenb eutel, ein Name, der z. B. in Spandau, Rathenow, Freienwalde und Wriezen vorkam oder noch jetzt vorkommt, findet jeder, der des Plattdeutschen mächtig ist, sofort die Erklärung: es ist durch Missverständnis entstellt aus dem niederd. 'siden-büdel, d. h. Seiten-ge-bäu, in dem später hinzugekommene Bürger ihre Wohnungen hatten. Schwieri­ger gestaltet sich die Sache, wenn wir z. B. (bei 0. Kuntzemüller, Ur- kundl. Gesch. der Stadt u. Festung Spandau, daselbst 1881, S. 14) lesen, dass in dieser Stadt bis zu dem J. 1764, wo verschiedene Strassen- namen umgeändert wurden, der zwischen dem jetzigen Potsdamer Thor und der Breitenstrasse gelegene Teil der heutigen Mauerstrasse die Bezeich­nungUnvernunft geführt habe. Auch hierüber giebt das mittelnieder­deutsche Wörterbuch Aufschluss (V S. 89), indem es unter dem Worte unvornunft zunächst die Erklärung des Lexikographen Frisch anführt (Vernunft, examen, da man einen gerichtlich vernimmt; Unvernunft, tortura, quaestio, ohne lang mit andern examina vorzunehmen) und dann aus andern Autoren Stellen beibringt, aus denen sich die BedeutungWerkzeug zum Foltern ergiebt. Wir werden m. E. nicht fehl gehen, wenn wir annehmen, dass man hier in Spandau, wie auch sonst wohl in andern Städten, mit dem NamenUnvernunft den Ort bezeichnete, wo in früheren Zeiten die Tortur, event. auch die Hin­richtung der Delinquenten vollzogen wurde. Dazu stimmt, dass nach Dilschmann (Diplom. Gesch. u. Beschreib, der Stadt u. Fest. Spandow, Berlin 1785, S. 53) die 1751 vor das Potsdamerthor in die Nähe des späteren Hochgerichts (auf dem jetzt so genannten Galgenberge) verlegte Scharfrichterei vor dieser Zeit sich innerhalb der Stadt dicht an der Mauer befand, also vermutlich an der Stelle, wo vordem die Unvernunft war.

Ich habe hier nur einige wenige Namen herausgegriffen, deren Deutung mir gerade zur Hand war; aber diese paar Beispiele werden, so mein ich, genügen, um zu zeigen, dass man noch verschiedene Auf­schlüsse von solchen richtig gedeuteten Ortsbezeichnungen erwarten darf. Freilich verschwinden diese alten Benennungen, wenn sie über­haupt noch im Gebrauch sind, immer mehr und mehr, weshalb es höchste Zeit sein dürfte, dieselben so viel wie möglich zu sammeln. Gilt doch für sie dasselbe, was man schon so häufig inbetreff der Flur­namen gesagt hat, wofür es mir erlaubt sein mag die beherzigenswerten Worte A.Brückners (Arch. f. slav. Phil. IX, J. 1886, S. 147) zu wiederholen:

Zum Schlüsse eine Auffordenmg: man beschränkt sich in der