Heft 
(1897) 6
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Militärische Beziehungen zwischen Preussen und Russland

Der Kaiser Paul I., von seiner Mutter gehasst und bei Seite ge­schoben, und in Gattschina mit einigen Truppen lebend, deren Ausbildung bis in alle Details, für die er auch in Ceremoniell und Etikette Anforderungen stellte, seine Hauptthätigkeit und,Sorge bildete hatte eine ausserordent­liche Vorliebe für preussische, noch auf den Erinnerungen Friedrichs des Grossen beruhende, Verhältnisse und Formen. Die Truppe trug den preussi- schen Schnitt, nur das Tuch war grün, statt blau; massenhaft zog Kaiser Paul deutsche Offiziere herbei und hatte eine besondere Vorliebe auch für die Ostseeprovinzen. Er selbst kleidete und hielt sich wie Friedrich der Grosse, bis auf die Tabaksdose und den Stock. Er warb preussische Instruk­teure an, namentlich auch einen Oberst, den General von Diebitsch, Vater des Feldmarschalls, einen an sich unbedeutenden Mann und keinen Charakter, der nachmals ein Kadettencorps kommandierte und lange Jahre Direktor der Tulaschen3Gewehrfabrik war. Dieser war ein Projektenmacher, und erfand unter Anderem ein hölzernes Pferd, das sich durch eine Maschinerie bewegte, um dadurch die lebendigen Pferde der Kavallerie zu ersetzen. So wurde dem Verfasser vor 40 Jahren erzählt.

Einst bei einer der täglichen Wachtparaden, die noch bis zum Tode des Kaisers Alexander I. fortdauerten und selbst im Winter bei jeder Kälte in Uniform ohne Mantel in einem Riesen-Exerzierhause abgehalten wurden, soll der Kaiser den Diebitsch gefragt haben, ob alles genau nach preussi- schem Muster sei, und dieser geantwortet haben, ja wohl, nur passiert es einem preussischen Offizier nicht, dass er eine Ohrfeige erhält (Paul soll einem Offizier eine solche dort gegeben haben), worauf Diebitsch eine Zeit lang in Ungnade fiel.

Paul hatte vortreffliche edle Eigenschaften, Pflichttreue und Gerechtig­keitssinn; aber sein eigenartiges, jähzorniges Gemüt und sein Misstrauen, der böse Einfluss von Hof-Kreaturen und die schlechte Behandlung seitens seiner Mutter hatten ihn immer mehr verdorben und zuletzt unmöglich gemacht, so dass nach seinem bekannten Tode sich die Leute auf der Strasse umarmten aus Freude, von solcher Angst und solchem Druck befreit zu sein. Das Schloss in Gattschina und das gegenwärtige Ingenieur-Schloss zu Petersburg, das in 10 Monaten vollständig als Kastell mit Graben, Zugbrücken, geheimen Gängen and Kirche als Caponnifere zur Bestreichung des Grabens gebaut wurde, waren festungsartig eingerichtet; ein unterirdischer Gang führt noch heute aus dem Schloss in Gattschina nach einem grossen Teich im Parke daselbst, in welchem ein grosses Kriegsschiff liegt, um sieh dorthin retten zu können. Trotz dieser Vorsichtsmassregeln wurde Kaiser Paul eben in jener Veste ermordet.

Als der König Friedrich Wilhelm III mit der Königin im Winter 1808/9 längere Zeit in Petersburg war, wo ihn u. A. der herrliche Kirchengesang, den er in der lutherischen Kirche bei der Liturgie hörte, begeisterte, bat er in Erinnerung an die Sympathieen Pauls für alles Preussische, dass das Re­giment der Garde in Petersburg, das aber damals noch nicht den vollen Rang der Garde hatte und den NamenKaiser Paul seit jener Zeit trägt, die preussische Grenadiermütze zur Erinnerung erhalte. Diese hohe, konische Mütze ist die, welche das Regiment noch heute trägt, ganz ähnlich oder