Heft 
(1897) 6
Seite
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234.

Eine Wendenhochzeit.

verlässt der Zug die Kirche. Am Ausgang des Kirchhofes stehen wendische, nicht zur Gesellschaft gehörende Mädchen, die den Weg mit Leinen versperren. Erst nach einer Zwiesprache und Opferung klingender Münze wird geöffnet.

Ausserdem stehen noch einige mit bunten Tüchern geschmückte IIolz- stühle an dem Wege, den der Zug nimmt, und blumengeschmückte Teller daraut lassen unschwer ihre Bestimmung, Geldspenden für die Ärmeren auf­zunehmen, erkennen. Nachdem noch das Gesinde des Hofes vor der Thür des Bauernhofes den ebenfalls gesperrten Eingang freigegeben, tritt man in das Haus des Bräutigams ein.

Nach Glück- und Segenswunsch verschwindet der weibliche Teil der Gesellschaft, die Braut an der Spitze, um den Kirchkopfputz und Schürze, sowie die Jacke abzulegen. Mit weissen oder bunten Kopftüchern, anderen Schürzen erscheinen sie nun in den frisch gewaschenen und sauber gebügel­ten Hemdärmeln, deren spitzengeschmückte Säume immer nach oben um­geschlagen sind, wieder. Dann nimmt man an der hübsch gedeckten T.afel Platz.

Nach dem Tischgebet bittet der Hausherr seine Gäste, siclis an seinem und derAnka Ehrentage wohl sein zu lassen, es beginnt das Mahl wieder nach wendischer Sitte mit Brot, Butter und Käse, worauf Kindfleischsuppe mit Rindfleisch, danach Schweinebraten mit Kartoffeln und Sauce, sowie Back­obst und schliesslich ein Gebäck von Quark-Käse aufgetragen und mit gutem Appetit verzehrt wird. Als Getränk giebt es das leichte braune Bier. Die Thür zum Hausflur bleibt keine Minute geschlossen, es kommen Kinder scharenweise, die sieh etwas vom reichen Tisch ausbitten; jedem wird ge­geben, was er mag, am beliebtesten ist eine Schnitte des grossen kräftigen Brotes mit Butter und Käse. Nach beendigter Mahlzeit wird abgeräumt und von der ganzen Gesellschaft ein wendisches Kirchenlied angestimmt. Alle singen mit, Jung und Alt, selbst die in der Küche beschäftigten Frauen treten dazu ein in das Zimmer. Darnach folgt zum Schluss:Nun danket alle Gott.

Gegen Abend wird Kaffee und Kuchen und wiederum Brot mit Butter und Käse gereicht. Den Abend beschliesst die Jugend mit einem Tanz im Saale des Gasthofes.

Der nächste Tag Sonntag bricht an. Früh schon ist im Hause des jungen Paares alles wieder gerüstet, und von 8 Uhr an stellt sich die Schar der Kaffeegäste ein. Heut tragen die Mädchen die grellfarbenen roten Röcke, während gestern die blaue, grüne und lila Farbe getragen wurde, denn rot schickt sich nicht für den Tag, da ihneneine ihres Kreises ver­loren geht.

Alle Gäste geleiten das Paar zum Gottesdienst in die Kirche, wo die Bäuerin zum ersten Mal den ihr von nun an gebührenden Platz einnimmt, Den ganzen Nachmittag widmet sich die Jugend dem Tanz, während die anderen Gäste das gute Wetter zu einem Spaziergange benutzen. Mit dem Sonntag ist die Feier dieser Hochzeit beendigt,weil er doch Witwer war, beimfreiledigen Bräutigam wird der dritte Tag auch noch gefeiert, v. B.

(Berliner Lok.-Anz. No. 318, 10. Juli 1897.)