Heft 
(1897) 6
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15. (6. ordentl.) Versammlung des VI. Vereinsjahres.

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nicht solche, teilweise ungewöhnliche Abmessungen und sind wiederholt verstärkt worden. Im vorigen Jahrhundert, zuletzt 1785, entstanden häufig Deichbrüche. Von den beiden grossen Überschwemmungen 1736 und 1785 giebt Ulrich in seiner Beschreibung der Stadt Wriezen fol­gende anziehende Schilderung: Von der des Jahres 1736 heisst es:Am 30. Juni fing die Oder bei Breslau an zu wachsen, welches man hier am 0. Juli bemerkte; so wuchs das Wasser mit jedem Tage. Am 16. stieg es in 24 Stunden über 3 Fuss und am 26. stand es 6 Ellen und 5 Zoll höher als sonst um diese Zeit. Schon am 14. war es in die niedrig gelegenen Ställe und Häuser getreten, so dass die hier garniso- nierende Kavallerie ihre Pferde nach den höher liegenden Ställen bringen musste; am 21. stand die Hälfte der Häuser im Wasser, und die höher liegenden mussten 4060 Menschen beherbergen. Durch das Frank­furter Thor konnte mau nur auf Kähnen aus- und einfahren, viele Brunnen und Keller stürzten ein. Der von Lebus bis Zellin gehende Oderdamm ward überströmt und an vielen Stellen durchbrochen. Am

17. Juli des Morgens um 4 Uhr riss der Strom unter dem Angstschrei der Einwohner zu Ortwig 80 bis 90 Ruten Damm weg und setzte das ganze Oderbruch in wenigen Stunden unter Wasser. Der hiesige geist­liche Inspektor Kretschmann fuhr am 22. nach Gross- und Klein-Barnim und predigte unter freiem Himmel aus dem Schilf; dasselbe that er den folgenden Sonntag in Reetz.

Auf diese Überschwemmung folgten in den Bruchdörfern viele Krankheiten unter Menschen und Tiere, kein Haus blieb davon verschont und von 6 bis 10 Personen war kaum einer gesund, der dem Kranken hilfreiche Hand hätte leisten können. Die Brunnen waren ganz einge­gangen oder überschwemmt, so dass man sich des Oderwassers bedienen musste, welches braunrot, wie Brühe von Pökelfleisch aussah, schleimig, warm und so scharf war, dass es den Leuten, die darin hantierten, Löcher in die Füsse frass, und wer aus Not davon trinken musste, dessen Zahnfleisch ward so angegriffen, dass ihm die Zähne ausfielen und er die Ruhr bekam. In 18 Bruchdörfern befanden sich 1800 Kranke, wovon jedoch nur 171 starben. Verheerender war indes die Über­schwemmung von 1785. Eine ausserordentliche Menge Schnee, der bis in den April liegen blieb, war im Winter an 6 Fuss hoch gefallen, so dass man über alle Zäune und Hecken fahren konnte. Plötzlich fiel warmes Wetter mit Regen ein, und der Schnee schmolz in zweimal -d Stunden dahin. Obgleich das Eis der Oder gut abging, so fing das Wasser doch schon nach einigen Tagen an sichtbar zu steigen, so dass es nach und nach die Höhe der Dämme erreichte, sie überstieg und am

18. April an mehreren Orten durchbrach, wodurch das ganze Bruch unter Wasser gesetzt ward. Hier in Wriezen stieg es noch einen Fuss 'höher als 1736; von 113 Häusern, die im Wasser standen, wurden