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16. (10. aussorordentl.) Versammlung des VI. Vereinsjahres.
16. (io. ausserordentl.) Versammlung des VI. Vereinsjahres.
Freitag, den 21. Januar 1898, nachmittags 2 Uhr,
mit gütiger Genehmigung des Gemeimle-Kii’chenrats: Besichtigung
der neuerhauten St. Georgenkirche.
Eine zahlreiche Versammlung hatte sich in der neben dem Ilaupt- portal gelegenen Tauf- und Traukapelle eingefunden. Nachdem der Vorsitzende, Geh. Regierungsrat Friedei, dem Superintendenten Wegener und dem Erbauer des Gotteshauses, Geh. Regierungsrat Professor Johannes Otzen im voraus den Dank der Anwesenden ausgesprochen, gab das Ehrenmitglied Ferdinand Meyer einen kurzen geschichtlichen Rückblick auf St. Georgen und dessen Hospital.
Am 31. August des letztverflossenen Jahres riefen die ehernen Zungen der Abendglocken zu dem vom Superintendenten Wegener gehaltenen Abschiedsgottesdienst in der alten St. Georgenkirche.
Über sechshundert und fünfzig Jahre sind an dieser Stätte wie „verschwindende Schatten“ vorübergezogeu, — vor unserin inneren Blick aber steigen sie wieder auf die wechselvollen Bilder, seitdem werk- thätige Nächstenliebe den von der schrecklichen Krankheit des Aussatzes betroffenen Elenden und Pilgrimen hier eine Zufluchtsstätte bereitet hatte. Wir vernehmen den fernen Klang des Glückleins, hören des Priesters Flehen: „O George, miles Christi!“ in der kleinen Kapelle des diesem Heiligen als Schutzpatron unterstellten Leprosenhause3.
Als dieselben im Mittelalter entstanden, übten zunächst die Geistlichen diese Pflegepflicht, Dis das selbständige Laien werk dann zum Durchbruch gelangte. Tm engsten Zusammenhänge standen die Lepro- sorien in der mitteleuropäischen Tiefebene mit den in Palästina gestifteten geistlichen Ritterorden, und zwar wurde das erste derselben zu Acron begründet. Ihm folgten unmittelbar die übrigen europäischen Stiftungen, im nördlichen Deutschland fast ausschliesslich St. Georgs- oder St. Jürgenspitäler nach dem kappadokischeu christlichen Königssohne benannt, welcher der Legende zufolge gegen Ende des 3. Jahrhunderts gelebt und einen Drachen getötet haben soll, der eine Jungfrau zu verschlingen drohte. Des Prinzen Bildnis, in voller Rüstung auf einem weissen Rosse dargestellt, führten die Kreuzfahrer in ihrem Panier, als Symbol der Kirche im Kampfe gegen die Ungläubigen auf dem Boden Palästinas, unter Anstimmung jener Hymne: „O George, miles Christi!“