28 Protokoll der 17. (7. ordentlichen! Versammlung des X. Vereinsjahres.
XXXII. Den Hauptvortrag des Abends hielt u. M. Fräulein Elisabeth Lemke: „Die Puppe, ein kulturgeschichtliches Bild aus Heimat und Fremde“.
Geehrte Anwesende, der Zweck unserer Gesellschaft ist zwar die Pflege der Heimatkunde; damit ist aber nicht gesagt, dass nur solche Vorkommnisse berücksichtigt werden dürfen, die allein die Mark Brandenburg angehen: ein grosser Teil der herangezogenen Fragen veranlasst vergleichende Umschau in benachbarten Provinzen und in weiterabgelegenen Ländern. Das ist so selbstverständlich, wie ein Vergleichen jetztzeitiger und vergangener Zustände. Wenn wir unsere Brandenburgia-IIefte durchblättern, wird uns das als vollauf erkannte und bethätigte Meinung entgegentreten. Wir haben in diesen bald vollendeten zehn Jahren alle erdenklichen Interessen in den Kreis unserer Betrachtung gezogen und sind oft bestrebt gewesen, bis zum Anfang aller Dinge — wenigstens soweit, wie diese Bezeichnung hier zulässig ist — zu gelangen, die Wunder der Geologie und Paläontologie, der Tier- und Pflanzenwelt erörternd, das Leben der Menschen bis in die Tiefen der Urzeit verfolgend, grossen Kulturaufgaben unsere Aufmerksamkeit schenkend, aber auch mit allerlei kleinen Alltagsangelegenheiten beschäftigt.
Zu einer echten und rechten Alltagsangelegenheit hat jahrtausendjährige Gewöhnung auch „die Puppe“ gestempelt, wodurch letztere zugleich in der ungeheuer langen Kette von Kulturfragen ein unentbehrlich zu nennendes Glied geworden ist.
Die Mütter unserer weisesten und gelehrtesten Männer, unserer berühmtesten Helden und berufensten Hüter aller Ideale spielten sämtlich erst mit der Puppe und übten sich an dieser in den Freuden und Leiden der Erziehung, ehe sie so weit waren, jenen Söhnen das Leben zu schenken und mit ihnen als mit dem denkbar zartesten Piippchen umzugehen. Ein treffendes Beispiel für besagten Vergleich sind die italienischen Ausdrücke bambinuccio und bambolo, die zugleich „kleines Kind“ und „Puppe“ bedeuten,*) während bimba mit „kleines Mädchen“ und „Piippchen“ zu übersetzen ist, burattino aber „Puppe“ und „Marionette“ vorstellt. Beachten wir ferner, dass buratto sowohl „Etamin (Zeug)“, wie „Mehlbeutel“ bedeutet, — welch’ letzterer die ursprünglichste Form haben kann, d. h. einfach aus einem zusammengeschnürten Stück Lejnen u. s. w. bestehen könnte, wie z. B. der verliebte Müllergesell (nicht in Schubertschen Liedern, sondern in einem ostpreussischen Volksgesange) sagt:
*) Bambino, Wickelkind, Kind; bamboccio, u. a. Puppe; bambola, Puppe; fantino, Knäbchen; fantoccio, Puppe.