Heft 
(1902) 11
Seite
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Protokoll der 17. (7. ordentlichen! Versammlung des X. Vereinsjahres. 43

mit dem ßestavader, dem Drickes und der Marizebill (Marie Sibylle) als Nebenfiguren, und derPutschineilkasten, genannt nach Pulcinella, franz. polichinelle, der lustigen Figur in der italienischen Volksposse.

Wir können uns hier nicht eingehend mit diesen Puppen be­schäftigen, da sie ein eigenes Reich vorstellen, eine eigene Litteratur aufweisen, zum Teil in ganz andere Gebiete hinübergreifen und vor allem nicht in wenigen Minuten zu erledigen wären.

Da ist [z. B.] das alte Volksschauspiel und PuppenspielDoktor Johann Faust, durch das Goethe die Anregung zu seiner Festdichtung erhalten hat. Für Goethe hat das Puppenspiel viel Anziehungskraft gehabt. InWahrheit und Dichtung und inWilhelm Meisters Lehr­jahren beschäftigt er sich damit. Er war darauf gekommen durch ein von der Grossmutter hinteilassenes Puppentheater, auf dem er selbst dann als Kind Aufführungen veranstaltete. (Trojan, a. a. 0.).

Auch die oft vortrefflich gearbeiteten Puppen derWeihnachts­krippen, etwa vom 14. Jahrhundert an bis in die neueste Zeit üblich, können wir nur flüchtig berücksichtigen, indem auch sie eine kleine Welt für sich bilden. Hervorragend interessant ist die Schmederersche Sammlung im National-Museum zu München, die 1000 Quadratmeter Flächenraum einnimmt. Sie enthält vorwiegend Stücke aus dem IS. Jahrhundert uud vertritt drei Schulen: die tirolisch-oberbayerische, die neapolitanische und die sizilianische.Wie die deutschen Sachen an die holländische Malerei, so gemahnen die italienischen au die Malerei der Venetianer und Naturalisten des 17. Jahrhunderts. Die sizilianischen Figuren sind meist ebenso leidenschaftlich bewegt, wie die neapolitanischen pomphaft feierlich sind. Jene sind ausschliesslich in Terrakotta gebildet, mit kaschierten Gewändern bekleidet und bemalt. Die neapolitanischen Figuren haben bewegliche Gliedmassen, gläserne Augen und sehr kostbare Kleider.*)

Wieder eine andere Gruppe von Puppen bilden jene, die zunächst nur die Vertretung eines Volkes übernehmen, um uns dessen äussere Erscheinung vorzuführen, im Uebrigen aber selten andere als richtige Puppenköpfe auf den Schultern tragen und daher auch trotz der auf­gewandten Mühe, eine Nationalität vorzustellen, an die Kinderstube mahnen. In erster Linie sei an jene grossartige Ausstellung erinnert, die im Dezember 1898 in Berlin stattfand, zu wohlthätigen Zwecken von der Erbprinzessin Pauline zu Wied (Mutter der Königin Elisabeth von Rumänien) ins Leben gerufen. Man sah alle Länder und alle Zeiten vor sich; weder eine alt-ägyptische Königstochter und ein assyrischer König fehlten, noch die armen Zigeuner, Bärenführer, Tänzer und Sänger (die sog. Lantoris). In der Berl. Anthropol. Ges.

*) Eduard Engels, Weihnachtskrippen. (Der Tag 25. Dec. 1901.)