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Protokoll der 17. (7. ordentlichen) Versammlung des X. Vereinsjahres.
überreichte Herr C. F. Lehmann die Photographien einer Gruppe von Trachten der Hauptvölker Transkaukasiens. Jene Puppen, für die Pariser Weltausstellung bestimmt, waren von Frau von Seydlitz in Tiflis und andern Damen daselbst aufs treueste hergestellt worden: „Zeug, Schnitt und Naht sorgfältig nach örtlichen Mustern. Auch der Silber- und Goldschmuck, mit dem sich viele Eingeborene ausgiebig zieren, ward an Ort und Stelle bei Silberarbeitern des Landes bestellt.“*)
Wenn unsere Kleinen solche prächtigen und den Menschen wenigstens in der Kleidung gleichenden Puppen zu sehen bekommen, könnten sie ihnen kaum eine bessere Bezeichnung geben, als die aus der ruthenischen Kindersprache: „Lala“, was zugleich „fremde, schöne Person, Kind und Puppe“ bedeutet.**)
Allmählich haben sich Worte wie z. B. „so zierlich, wie eine Puppe“ und „zart, wie ein Püppchen“ eingebürgert, im Gegensatz zu den Bemühungen, die Puppen immer menschenähnlicher zu gestalten. Aber im Volksglauben ist solche Bemühung oft als Lästerung angesehen worden, wofür u. a. „die Puppe in der Drusen-Alpe“ einen Beweis liefert. „Ein Knecht fiel [dort] im Übermute auf den frevelhaften Gedanken, von „Blätzen“ (Überreste getragener Kleider) eine Puppe zu machen, lebensgross und menschenähnlich. Die so angekleidete Puppe wurde von den Alpknechteu herumgetragen, ausgelacht und gehätschelt.“ Schliesslich sollte sie noch getauft werden. Während dieser Handlung kam ein altes Weib, das um eine Gabe bat; aber die Knechte verweigerten ihr solche, indem sie — auf die Puppe zeigend — sagten: „Die soll essen!“ Da sprach das Weib eine Verwünschung aus, die sich sogleich erfüllte. Während die Puppe mit Wasser begossen wurde, schlug sie zum Entsetzen der Knechte die Augen auf. Und mit lauter Stimme rief das unheimliche Geschöpf: die Knechte — jenen Senn ausgenommen — möchten fliehen und sich eine lange Strecke des Weges nicht umsehen. Der Senn musste also Zurückbleiben. Als jene sich endlich doch umschauten, sahen sie, dass die Puppe die Haut des Senn auf den grossen Steinen beim Stafel ausbreitete; sie hatte sie dem Ärmsten bei lebendigem Leibe abgezogen.***)
Ähnliches ereignete sich auf der Alp Valesa in St. Somoix. Dort fertigten einst „die übermütigen Hirten eine Puppe aus Käsmasse; sie behandelten und hätschelten dieselbe wie ein lebendes Kind. Als nun die Alpenladung kam und der Tag der Abfahrt ins Thal da war, richtete sich die Puppe plötzlich auf. Sie rief mit unheimlich drohender,
*) Verh. d. Berl. Ges. f. A., E. u. U. 1900, S. 152 u. f.
**) Raimund Friedrich Kaindl, Lieder, Neckreime u. s. w. In der Bukowina und in Galizien. Zeitschr. d. V. f. Volksk. 1898, S. 320.
***) Dietrich Jäklin, Volkstümliches aus Graubünden. 1878, S. 56.