Heft 
(1902) 11
Seite
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Prof. Dr. E. Bardey, Die Franzosen im Havellande von 1806 bis 1808. 229

das geringste wusste, daher denn auch die ihm auf die Brust gesetzten Säbel nichts herausbringen konnten.

Nach dem Abgang der Offiziere füllten sich die Landstrassen mit Feinden, und die Kavallerie ging durch, wovon viele in das Dorf stürzten und Lebensmittel und andere Sachen, sonderlich Pferde, raubten. Zwei Husaren sprengten auf die Pfarre. Der eine, ein Trompeter, verlangte du vin, und erhielt eine Flasche. Dann verlangte er Geld, und ich reichte ihm 1 Thlr. Münze dar, den er mir mit einer spöttischen Miene und den Worteno pasteur! verächtlich vor die Füsse warf. Zuletzt forderte er pain blanc avec des confitures, auch das wurde ihm gegeben.

Der andere Husar forderte mit Ungestüm von meinem Meier ein Pferd und that auf dessen Anfrage, ob das Pferd für einen Boten sollte, einen Hieb nach dem Kopf desselben, der aber, weil er schnell zurück­sprang, den Stiel der Kirchhofsthüre traf. Nun dachte ich:Der Anfang ist gut, wie wird das werden? als plötzlich beide messieurs lange Hälse machten und in der grössten Eilfertigkeit vom Hofe jagten, um das cedo majori zu spielen und einem neuen Auftritt Platz zu machen.

Der Marschall Bernadotte oder der Prinz von Ponte Corvo erschien nebst seinem Generalstabe.

Ich stürzte sogleich aus dem Hause ihnen entgegen und machte ihnen mein Bewillkommenskompliment. Sie stiegen ab und gingen nebst einem Schwarm von Offizieren und Dienern in die Pfarre. So­gleich zogen sie eine Karte hervor, ich reichte ihnen eine weit spe­ziellere, und sie orientierten sich aus derselben von ihrer jetzigen und des Prinzen von Hohenlohe Stellung, auf den sie Jagd machten (! ?)*).

Sie legten mir viele Fragen über die nächsten Städte, Wege und deren Beschaffenheit und Entfernung vor, die ich, so gut ich es wusste und konnte, mit aller Unbefangenheit zu ihrer Satisfaction beantwortete. Kurz, ich fand Gnade vor ihren Augen.

Während dieses Examen vorging, Hessen sich 20 ihrer Pferde meinen Hafer und Heu trefflich schmecken, und des Prinzen Koch und Bediente bereiteten für ihn ein dejeuner von Eiern und Schinken und trieben in Küche und Speisekammer und überallpour passer le temps allerlei lustigen französischen Unfug, in der Stube aber herrschte respekt­volle Stille.

*) Dies nicht ausdrücklich geforderte, sondern freiwillige Überreichen der Land­karte durch den Pfarrer erscheint in milderem Lichte nur dadurch, dass der Pfarrer sich in der Angst seiner Handlungsweise gar nicht bewusst gewesen zu sein scheint, denn sonst hätte er diesen Umstand nicht selbst mit niedergeschrieben. Er war eben geradeso ein Kind seiner Zeit wie die Kommandanten, welche die grossen Festungen ohne Not übergaben, um dadurch die Gnade des Siegers für das Land zu erwirken. Warnende Beispiele für alle Zeiten! Im übrigen ist das Benehmen des Pfarrers höchst achtungswert, und es ist sehr anerkennenswert, dass er seine Gemeinde in der ge­fährlichen Zeit so zusammengehalten hat.