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(1902) 11
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13. (5. ordentliche) Versammlung des XI. Vereinsjahres.

Im Jahre 1882, als das jetzt vorhandene Schlusssteinstück noch nicht aufgefunden war, hat die sonach unvollständige Zeichnung sie ist erst später ergänzt bei verschiedenen Männern der Wissenschaft die Runde gemacht, um eine Entzifferung herbeizuführen. Hin Lehrer Rabe, der sich viel mit keltisch beschäftigt, glaubte in den Zeichen Runen zu sehen und eine altbritische Inschrift zu erkennen. Abgesehen davon, dass die Inschrift zu seiner Zeit nicht vollständig war, hatte dieser Herr sich auch gemüssigt gesehen, eine Verbesserung vorzunehmen, indem er einen Horizontalstrich, der aus einem senkrechten Strich im rechten Winkel abging, bergabgehend las. und so ein ihm bequemeres Zeichen einschmuggelte. Ferner aber sah er eine Anzahl Zeichen als Trennungszeichen an, ohne erkennbar zu machen, weshalb Zeichen ver­schiedener Art als solche zu lesen sein sollten. Frühmittelalterliche In­schriften weisen zum Teil gar keine Teilungszeichen zwischen den Wörtern oder den Buchstaben, die diese bedeuten, auf, zum Teil sind Vertikal­striche, zum Teil Punkte, zum Teil auch Kreuze und andere Figuren verwendet, die Form ist für jede Inschrift aber eine einheitliche, sodass man nie in die Verlegenheit kommt, ein Schriftzeichen für ein Teilungs­zeichen zu halten. Ähnlich so verhält es sich bei Runenschriften, die mir zu Gesicht gekommen sind. Unter diesen Umständen kann eine Besprechung der Rabeschen Entzifferung, die im wesentlichen die An­rufung eines keltischen Gottes darstellen sollte, keinen Zweck haben. Andere Forscher wollen in den Zeichen nordische, noch andere ger­manische Runen erkannt haben, aber zu einer befriedigenden Entzifferung ist die Inschrift nicht gekommen.

Ich habe nun zwar auch schon runische Schriften und zwar der verschiedensten Alphabete gesehen, aber ich muss sagen, die Schrift sieht mehr wie eine solche des 10., 11. und 12. Jahrhunderts aus. Denn darüber darf man im vorliegenden Falle doch nicht hinwegsehen, dass die gewinkelten statt rundlicher Formen sehr mit der Sprödigkeit des verwendeten Materials in Zusammenhang zu bringen sind. Diese Win­kelungen mögen zum Teil dazu beigetragen haben, Runen in den Schrift­zeichen zu erblicken. Denn mit Rücksicht auf die Form des Steines und den Verlauf der Schrift muss es als eine gezwungene Erklärung an­gesehen werden, dass der Stein eine Stelle aus einem heidnischen Stein­kreise gewesen sei. Der Umstand allein, dass er in der Nähe einer christlichen Kirche, die höchstwahrscheinlich auf einer heidnischen Kult­stätte errichtet worden war, gefunden ist, beweist nichts für ein so hohes Alter der Inschrift, die in diesem Falle doch quer, wenn auch in mehreren Zeilen, über die Schmalseite des aufgerichteten Steins hätte gehen müssen. Ausserdem ist nicht das Misstrauen der christlichen Priester in Betracht gezogen, die doch zweifellos eine mit heidnischen