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14. (6. ordentliche) Versammlung des XI. Vereinsjahres.
burger Professor nunmehr die Bezeichnung Homo primigenius an- nommen hat. Ja die ferozen Merkmale des Neanderthalschädels haben die menschenfressenden Wilden von Krapina in noch höherem Masse, noch stärker vorragende Augenwülste, noch stärker entwickelte, an den Orang-Utan erinnernde Schmelzfalten der ca. 80 vorhandenen Zähne, besonders starke prognathe, aber kinnlose Unterkiefer. Nach den interessanten Untersuchungen des l>r. Walk hoff in München hängt diese allen altdiluvialen menschlichen Kiefern (von Spy, la Naulette, Predmost, Schipka, Krapina, Neanderthal etc.) gemeinsame Eigentümlichkeit mit Verschiedenheiten der im Dienste der Sprache stehenden Zungenmuskelu zusammen. Die Umgegend von Krapina und überhaupt von Agram, die mir aus einem dreimaligen Aufenthalt und aus mehrfachen, mit dem Direktor des dortigen Zoologischen National-Museums Professor Spiridion Brusina gemeinschaftlich unternommenen palaeontologischen und zoologischen Exkursionen recht wohl bekannt ist, scheint, was sehr wichtig für die Menschenfrage wird, niemals vergletschert gewesen zu sein und es gilt daher mindestens vorläufig der Fundort von Krapina als das Prototyp für alle jene Gegenden, in denen' eine im wesentlichen ungestörte Existenz und Fortentwickelung des Chelleen - Menschen anzunehmen ist.
Seit Jahrzehnten sind bei dem palaeolithischen Menschen die von einer erstaunlichen Fertigkeit in der Technik zeugenden Schnitzereien und Malereien, während einer bestimmten Periode, die namentlich in den südfranzösischen Höhlen Vorkommen, aufgefallen. Kürzlich sind wiederum grossartige hierher gehörige Funde in Kalkhöhlen des Dordogne-Flusses und der sich bei der Station Les Eyzies in denselben ergiessenden Vezere gemacht. Man hat hier i. J. 1901 an deutlich erkennbaren Zeichnungen 109 entdeckt, darunter Skizzen eines Menschenkopfes, ferner vom Rentier, Steinbock, Saigaantilope, Pferd, Ur, Wisent, Mammut. Manche der Figuren erscheinen deshalb besonders interessant, weil sie mit Ocker oder Mangan rötlich oder schwarz angemalt sind. Geologisch haben diese Funde nichts mit dem Chelleen und Mousterien zu tun, also nichts mit dem Homo primigenius des wärmeren Klimas, sondern sie gehören der jüngeren Diluvialschicht des Magdaleen, also dem Vorfahren des jetzigen Ilomo sapiens mit rauherem Klima an.*)
Rätselhaft bleibt es noch immer, umsomehr, wenn die neolithische Bevölkerung von diesen Magdaleuen-Menschen abgeleitet wird, wie die hohe Kunstentwickelung, welche jene Skulpturen zeigen, so gänzlich
*) Vergl. ausführliches Referat „Zur ältesten Kunst“ (mit 8 Abbildungen) von K. Falck in der Naturwiss. Wochenschrift vorn ]4. September 1902 S. S91 - 595."