Heft 
(1902) 11
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Kleine Mitteilungen.

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braten zu lassen. Davon hätte die Wissenschaft wenig Nutzen gehabt. Der Grund lag tiefer. Mutter Meyern, so liiess es, gehörte zu jenen interessanten menschlichen Abnormitäten, bei welchen das bei ihr allerdings vorwaltende Ewig-Weibliche sich mit den Attributen des Antinous konkret verschwistert, wovon die Spötter Wind bekommen hatten. Hätte es damals, wir reden von der Mitte des noch nicht für alle verflossenen 19. Jahrhunderts, schon wie heute einJahrbuch für sexuelle Zwischenstufen gegeben, so wäre ihr ein guter Platz darin sicher gewesen.

Eine so seltsame Veranlagung hat die Betreffende indes nicht vor Abenteuern zärtlicher Natur bewahrt. Ihr vogelausstellender Nachbar sub dio, so flüsterte Fama, habe sich ihr in einer jener Stimmungen, die Schiller Wallungen nennt, so indiskret genähert, dass sie den Schutz des Gesetzes gegen ihn anzurufen genötigt worden sei.

Mutter Meyern ist klanglos zum Orkus hinabgegangen. Die Annalen des Museums schweigen darüber und statistische Angaben über ihre letzten Schicksale fehlen. Mir ist versichert worden, erst nach dem Jahre 80 sei die Stätte ihres Wirkens leer geblieben. Die Gute hat die Zeit nicht mehr er­lebt, wo die anspruchsvoll gewordene Reichshauptstadt ihr Strassenbild budenlos gestalten sollte.

Neben der Meyern ein anderer Stand, wie der ihrige ohne oder mit doch nur spärlicher Bedachung, sich mit einem Schemel zum Sitz begnügend. Ein Berliner schlichtweg hätte es nicht getan, es musste ein Franzose sein, dessen Name uns leider Mnemosyne nicht aufbewahrt hat. Diese zweite durch hohe Statur und grosse Magerkeit ausgezeichnete öffentliche Figur des Lustgartens stellte in halbverhängten kleinen Käfigen die exotischen Gefieder einer Anzahl Prachtfinken zur Schau aus; gegen ein kleines Douceur natürlich. Ausserdem besass er, wie Minerva, eine lebende Eule, deren verschleiertes Bild sich nur gegen den Ehrensold eines Dreiers enthüllte. Neben der Ornithologie betrieb er Kunstkritik, zu welcher die benachbarte Vorhalle des Neuen Museums ihr Lokal darlieh. Glänzend als Cicerone, förderte er zumal die antiquarische Bildung Berlin besuchender Wanderburschen neben der­jenigen junger Soldaten. Welche Deutung er den Fresken gab, welche hellenisches Treiben der Blütezeit darstellen, von denen die Volksstimme damals zu sagen wusste, sie seien ein Abbild des in Pichelsberg badenden Handwerkervereins, ist leider nicht überliefert worden.

Als Probe seiner Rednergabe etwa das Folgende:

Sehen und bewundern sie diese Bronzetür von Schmiedeeisen. Sie kostete dem König 36 000, der Mann sagt bare 36 000 Thaler. Bevor ich weiter gehe, bitte ich die zuletzt hinzugekommenen jungen Leute eine kleine Kollekte unter sich zu sammeln. Hierbei drückten sich natürlich die meisten.

Unser Franzose erklärte und deutete auch andere Merkwürdigkeiten des schönen Lustgartenplatzes. So die aus dem Granit der Rauenschen Berge gemeisselte, den Namen Canzian verewigende Schale, so die Amazonen­bildnisse und jene vom Czar geschenkten Rossebändiger, welche als ge­hemmter Fortschritt und als beschleunigter Rückschritt dem Leben ab­gelauscht zu sein schienen, dem damaligen bösen Liberalismus ihre Signatur verdankend.