Heft 
(1903) 12
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30 E. Lemke, Hohenzollem- und andere Fürsten in Mythenbiidung.

aber nicht meinen, der alte Fritz sei ein hartherziger Mann gewesen, der nur an eigene Gefahr und Leiden gedacht hätte. Ganz im Gegen­teil! Einmal hatte er eine grosse Schlacht geschlagen. Es war Abend, und ein lautes Gewimmer liess sich auf dem Schlachtfelde hören. Da ist er über die Wahlstatt gegangen und hat laut gerufen:

Ruhet wohl, Ihr, meine Söhne!

Eure Seele steht bei Gott.

Bin ich schuld an Eurem Tode,

Straf mich der gerechte Gott!

Da ist das Gewimmer verstummt, und man hörte keinen Schmerzens- ton mehr. Echt mythisch ist die Geschichte von der Bittschriften­linde in Potsdam. Bekanntlich bewohnte der König die Eckzimmer des Potsdamer Schlosses nach der Teltower Brücke zu. Nahe der Brücke unter einem Lindenpaar stellten sich gewöhnlich jene auf, die dem Könige eine Bittschrift überreichen wollten. Sie sahen so lange sehnsüchtig zum Schlosse hinüber, bis der König jemand hinabschickte, die Bitt­schriften zu holen. Nach dem Tode des Königs liess ihn die Säge auf der Terrasse von Sanssouci und durch die Alleen im Rehgarten nach dem Neuen Palais wandeln, umspielt von seinen Lieblingshunden; aber sie liess ihn auch im Dämmerlicht oder Mondschein im Eckzimmer des Schlosses ernst und einsam am Schreibtisch sitzen, wo er unablässig für das Wohl seines Volkes arbeitete. Noch in spätere Zeit hinein galt es für ein gutes Omen, wenn ein Bekümmerter dort unter der Linde stehend ein Licht im Eckzimmer bemerkt haben wollte. Des Königs Frühstückszimmer zu Sanssouci zeigt als Deckenschmuck das Bild einer grossen Spinne, die von der Mitte ans nach allen Richtungen hin ihre Fäden gezogen hat. Eines Morgens verliess der König das Zimmer, bevor er von der ihm hingesetzten Chokolade getrunken hatte. Als er wieder zurückkehrte, sah er, dass inzwischen eine Spinne in die Chokolade gefallen war. Unangenehm davon berührt, goss er das Getränk in den Napf seiner Windhunde. Eine Viertelstunde später waren beide tot. Sofort wurde der Koch gerufen; doch der kam nicht, der hatte sich in aller Geschwindigkeit totgeschossen. Die Feinde Friedrichs hatten ihn mit Gold zu der bösen Tat den König zu ver­giften gewonnen. Zur Erinnerung an diesen Vorgang ward die Retterin, die Spinne, an die Decke gemalt. (Eine ähnliche Sage wird auf Napoleon I. bezogen.) Was die Gebr. Grimm von dem Landgrafen Moritz von Hessen erzählen, gilt auch für Friedrich d. Gr., nämlich jene Überlieferung, nach welcher der König mit einem Soldaten der ihn nicht kannte gemeinsame Sache machte und auf Raub ausging. Den Vorschlag, des Königs Schatzkammer zu bestehlen, wies der Soldat jedoch mit Entrüstung zurück; er wollte nur einen Blick hineinwerfen, und