Heft 
(1903) 12
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E. Lemke, Holienzollern- und andere Fürsten in Mythenbildung.

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der König musste versprechen, nichts zu entwenden. Als sie mit Hülfe eines Zauberstabes, den der Soldat besass, dort angelangt waren, griff der alte Fritz schnell in eine Kiste, um eine Handvoll Geld heraus­zuholen. Zornig rief der Soldat:Hältst Du so Dein Wort? Dem König darf man nichts nehmen; der hat zu viele zu versorgen. Dann prügelte er den alten Fritz jämmerlich durch, so dass dieser froh war, ins Weite zu gelangen. Am andern Morgen wurde der Soldat zum König gerufen. Erschrocken machte er sich auf den Weg. Doch die Sache lief gut ab: der König befreite ihn von den Soldaten und be­schenkte ihn mit reichem Gut. Nur den Zauberstab musste der Soldat abgeben; den konnte der König ihm nicht lassen.

Ein alter Pole erzählte mir kürzlich eine ähnliche Geschichte, die in Russland gespielt haben soll. Einer von den russischen Kaisern ging gern verkleidet im Laude umher, uud als er einmal so ging, traf er einen Mann. Der sagte zu ihm:Ich bin Spitzbub; was bist Du? Na, wir können Zusammenarbeiten, antwortete der Kaiser;ich bin auch Spitzbub. Das war dem andern sehr recht, und er fragte, wohin sie denn gehen sollten.Wir wollen den Kaiser bestehlen gehen! sagte der. Platz! da hatte er eins ins Gesicht!Du verdammter Kerl, der Kaiser ernährt ein ganzes Land, und den sollten wir bestehlen? Na, wohin er denn sonst gehen wollte? fragte der Kaiser, der sich den Schlag ruhig gefallen liess. Und da nannte ihn der Spitzbub einen grossen Herrn. Zu dem schlichen sich abends die beiden hin, und der Kaiser ging horchen. Da hörte er, wie der Herr zu seiner Frau sagte: >,Du weisst doch, dass wir morgen eine grosse Gesellschaft geben. Ich hab den Kaiser auch eingeladen; ich will ihn vergiften.Mann, erbarm' Dich! sagte die Frau. [Man erkennt an diesemerbarm Dich, dass mein Berichterstatter lange in Preussen sich aufgehalten hatte.] Ach was, liebe Frau, ich mach das ganz glatt; ich vergift ihn mit einem Glas Wein. Der Kaiser ging leise zurück und sagte zu dem Spitzbuben: hier könnten sie heute nichts tun, hier wäre alles noch wach; für heute solle er nur mit ihm kommen und sich stärken. Aber von der Gift-Geschichte erzählte er nichts. Als sie au ein Tor nicht weit vom Schloss kamen, nahm der Kaiser einen Schlüssel aus seiner Tasche, und beide traten ein. Sie gingen durch so viele Räume, bis sie in ein kleines Zimmer kamen, das auch zum Schlosse gehörte. Hier machte der Kaiser Licht an, er hatte alles bei sich; und dann öffnete er den Mantel. Ach! nun sah der Spitzbub, wen er vor sich hatte. Er erschrak.Du brauchst nicht zu erschrecken! sagte der Kaiser. Du hast mir das Leben gerettet. Aber bis morgen musst Du hier dx'in bleiben! Und dann erzählte er ihm alles. Der Spitzbub hatte es hier sehr gut. Und der Kaiser ging in jene Gesellschaft. Da waren schon furchtbar viele versammelt; viele feine Herren standen im Kreise, und