Heft 
(1903) 12
Seite
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Kleine Mitteilungen

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Sch neide rseele hat man Respekt. Die Volkssage berichtet nicht nur, dass der tapfere Derfflinger in seiner Jugend ein Schneidergeselle ge­wesen sei; auch Grimm erzlihlt in seinem Märchen von einem Schneider- lein, der durch seinen Mut und seine Klugheit die Hand einer Königs­tochter gewann. Dieser Schneider führte sogar eine Geige bei sich, er ist nicht nur Handwerker, sondern auch Künstler, und noch heut spielt der Dorfschneider in der Mark häutig die Rolle eines Dorfmusikanten. Obgleich er oft bei Hochzeiten und Kindtaufen zum Tanz aufspielt, bleibt er docli stets ein nüchterner Mann; nie war ein Schneider ein Trunkenbold. Vielleicht hängt das zusammen mit seiner Neigung zu religiöser Schwärmerei. Doch hat er auch einen klaren Kopf, und gern vertraute man ihm zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die Erziehung der Jugend an. So betrieb er denn häufig die Verwaltung einer Volks­schuleim Nebenamt. Der Schneider ist trotz seiner Neigung zur Opposition ein guter Patriot wie z. B. der berühmte Schneider in Pensa, und mein eigener Grossvater ein ehrsamer Schneider und gleichzeitig Dorfschulmeister, stürzte, als ihn die Franzosen 1801! in der Gegend von Anklam zwingen wollten, ihnen Führerdienste zu leisten, absichtlich im rasendem Galopp vom Pferde, um sich lieber von den Hufen der Rosse zerstampfen zu lassen, als zum Vaterlandsfeinde zu werden.

Darum geniesst der Schneider im Dorfe auch allseitiges Vertrauen. Man wählt ihn sogar zum Vermittler in heiklen Angelegenheiten: er stiftet Ehen und man verhandelt durch ihn wegen der Mitgift. Zu­weilen tritt er auch als Hochzeitsbitter auf.

In den Witzblättern, besonders in denFliegenden Blättern spielt der Brave selten eine lächerliche Rolle; meistens ist er der Gefürchtete, um welchen die Musensöhne gern einen möglichst grossen Bogen beschreiben. O. Monke.

Über die Entstehung der Kirchenbücher verbreitet sich ein Aufsatz des Stoibergischen Archivars Dr. Jacobs im Korrespondenzblatt des Gesamt­vereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine (fünfzigster Jahr­gang 1902, S. 44 fl'.). Jacobs verfolgt die Kirchenbücher bis in die vor­christliche Zeit zurück. Die altrömischen zu Zwecken der Besteuerung und Aushebung geführten Register der Eheschliessungen und Geburten sind für die in den ältesten Christengemeinden angelegten Verzeichnisse der Ge­tauften, dann besonders auch der Blutzeugen, bis zu einem gewissen Grade vorbildlich gewesen. Mit der Völkerwanderung ist dann aber dieser Brauch verloren gegangen; das Mittelalter kennt nur die sogenannten Totenbücher (Nekrologien oder Obituaricn), die aber nicht die verstorbenen Gemeinde­glieder, sondern die Namen von geistlichen und solchen weltlichen Personen verzeichnen, die einer Kirche oder einem Kloster Zuwendungen gemacht, besonders Seelenmessen gestiftet hatten. Erst mit der Renaissance beginnt, wenigstens in den romanischen Ländern, eine eigentliche kirchliche Register­führung, die in der Provence seit Anfang des 14. Jahrhunderts, etwas später in Mittelfrankreich, dann auch in Nordfrankreich nachweisbar ist. Auch in Italien reichen Kirchenbücher bis ins 14. Jahrhundert zurück. Seit Anfang