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3. (1. ordentliche) Versammlung des XII. Vereinsjahres.
Allein warum muss er durchaus aus einem und demselben Bucli einmal den Impuls zur Dichtung und dann zugleich die erforderliche Belehrung empfangen oder warum soll er sich zu Zwecken der Information und um für die poetische Gestaltung Einzelmotive zu gewinnen, mit der Lektüre eines einzigen begnügt haben? Man kann sich die Yorstadien der Dichtung, den Verlauf der Vorbereitungen zu ihr doch sehr gut folgendermassen vorstellen.
Kleist hat die Anekdote schon als Knabe etwa beim Geschichtsunterricht kennen gelernt. Später wird sie ihm wiederholt begegnet sein. Dazu hatte er nicht bloss als Offizier reichliche Gelegenheit. Wir wissen z. B., dass auf der Berliner Ausstellung des Jahres 1800 ein Bild des Malers Kretschmar zu sehen war, das die von Friedrich dem Grossen geschilderte Scene darstellte, wo Kurfürst Friedrich Wilhelm zum Prinzen die Worte der Versöhnung spricht. Das Gemälde erregte allgemeine Bewunderung und wurde von Friedrich Wilhelm III angekanft. Kleist, der im Jahre 1800 bis zum August in Berlin war, hat es gewiss gesehen. Auch gibt es einen dieselbe Scene darstellenden Kupferstich von Chodo- wiecki. Nun mochte sich die Anekdote, sei es wegen der Verwandtschaft der Natur des Prinzen, wie er in ihr erscheint, mit Kleists eigenem stürmischem Wesen, sei es wegen des dichterisch so ergiebigen Gegensatzes, um den sie sich bewegt, sie mochte sich seiner Phantasie wie seinem Gemüt gleich tief eingeprägt haben. Da ging ihm plötzlich — wir wissen nicht, w 7 ann — der Gedanke auf, sie zur Grundlage eines Dramas zu machen. Und nun da er zur dichterischen Gestaltung schritt, da er für den nach seinem eigenen Zeugnis (Brief an Fouque, Bülow S. 246) ein wenig dürren Boden der Handlung nach Motiven suchte, war es da nicht natürlich, dass er in der der Schlacht zeitlich nächststehenden Literatur eingehendere Belehrung suchte? Er fand sie im Theatrum Europaeum, woher die Motive von der dem Oberst Hennings zugewiesenen Aufgabe (oben S. 182), vom Dankgottesdienst in Berlin mit den Einzelheiten der mitgebrachten Fahnen und Standarten und der in der Residenz abgefeuerten Salutschüsse (oben S. 184) stammen. Dass er ihn nicht allein benutzte, lehrt die Schreibung Dörfling des Namens des branden- burgischen Heerführers. Dörfling aber wird der Feldmarschall bei Friedrich dem Grossen genannt. Es ist nicht unmöglich, dass Kleist diese Schreibweise aus seiner Schilderung übernommen hat, wenn sie sich auch, wie wir sahen, in der Literatur bis in seine Zeit hinein erhalten hat (oben S. 184). Dies wird sogar wahrscheinlich, wenn wir berücksichtigen, dass der Anklang an das Motiv von den in den Sümpfen aufzureibenden Schweden einzig und allein hier begegnet (oben S. 182 f.). Dass er an dem Widerspruch zwischen ihr und der älteren Darstellung keinen Anstoss nahm, darf uns nicht wundern. Vielleicht bemerkte er ihn gar nicht. Las er die Schriften doch als ein Stoff und Motive