3. (1. ordentliche) Versammlung des XII. Vereinsjahres.
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lebte bei aller Leidenschaftlichkeit seines Wesens, so träumerisch und weitabgewandt er auch war, doch zugleich die Fähigkeit ruhigen, tiefsinnigen Abwägens. Seinem Temperament, seinem Naturell nach stand er gewiss auf der Seite des sorglos seinem jugendlichen Drange folgenden Helden, der Fleisch von seinem Fleisch, Bein von seinem Bein war. Aber gründlichere Einsicht lehrte ihn, dass der Staat, die Weltordnung Forderungen an den Menschen habe, vor allem die, dass er die natürlichen Regungen dem Gesetz unterwerfe. Sie lehrte ihn, dass nichts dem Ti-iumphe gleiche, den der über den gefährlichsten unserer Feinde errungene Sieg bedeute: der Sieg über den Feind in uns, den Trotz, den Übermut (V. 175(1 ff.). Der Satzung soll Gehorsam sein“, wie es in der Dichtung heisst. Und so führte er, man kann nur sagen mit tiefer Weisheit die Handlung so, dass derselbe Held, der das Verfahren des Kurfürsten gegen ihn starr, grausam und unmenschlich findet, im Laufe der Vorgänge seine Berechtigung einsehen und anerkennen lernt. Und wie das geschieht, wie der überlegene, weltkluge Herrscher mit feiner Ironie die Entscheidung über Recht und Unrecht des blutigen Urteilsspruches in die Hand des Prinzen selbst legt, indem er ihm die Freiheit zu gewähren bereit ist, falls er meine, dass ihm Unbilliges widerfahre, Homburg sich aber weigert, diese Erklärung abzugeben, das ist ein meisterhafter, künstlerischer Zug, der die durch die Ereignisse gewonnene Einsicht des Helden aufs schönste besiegelt. Man hat das Verhalten des Kurfürsten unverständlich, widerspruchsvoll und inkonsequent gefunden. Man hat gozweifelt, ob es ihm mit dem Todesspruch ernst sei. Dass jener Vorwurf unbegründet ist, wie dieser Zweifel unberechtigt, hat schon Wilbrandt in seiner trefflichen Biographie (S. 874f.) und hat neuerdings Niejahr (Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte 6, 41 ßf.) überzeugend dargetan. Ganz besonders aber hat man dem Werk vorgehalten — und dieser Umstand hat dem Drama zu Lebzeiten des Dichters den Eintritt auf die Bühne verwehrt — dass im vierten Auftritt des dritten Akts in der Scene zwischen Homburg und der Kurfürstin jener in zu starkem Masse und in einer eines Offiziers unwürdigen Weise von der Todesfurcht gepackt wird. Auch diesen Vorwurf kann nur erheben, wer das Wesen dieser Dichtung und der Kleistschen Poesie überhaupt nicht erkannt hat. Der leidenschaftliche Ausbruch des Prinzen erklärt sich psychologisch durch das, was er erlebt hat, durch den jähen Sturz aus höchster Höhe in die tiefste Tiefe, aus dem goldenen Traum in die entsetzliche Wirklichkeit hinlänglich und dass das ursprüngliche menschliche Gefühl das sekundäre des Standes in den Hintergrund drängt, kommt ja wohl öfter vor und darum, weil es wahr ist, ist es poetisch. Und am allerwenigsten kann es bei Kleist überraschen, für den schrankenlose Äusserung der Empfindung zu den Grundforderungen der Poesie gehörte. Aber dieses Gebaren des Helden ist nicht bloss seelisch begründet, es ist auch ganz
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