Heft 
(1903) 12
Seite
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9. (3. ordentliche) Versammlung des XII. Vereinsjalires.

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Überhaupt ist durch die Entdeckungen der letzten Jahre insbesondere die zweifellos bislang bei weitem unterschätzte Dauer der neueren Steinzeit sowie fast die gesamte ur- und vorgeschichtliche Chronologie vorerst ins Schwanken geraten und zwar im Sinne grösserer Ausdehnung.

Aber auch die Alt-Steinzeit, die diluviale Palaeolithik, welche vor der Litoriua- (Serobicularien-)Periode liegt, hat wie in unserer Mark Brandenburg so erst recht in dem nördlicheren Gebiet z. B. in Pommern, wobei ich zunächst nur Neu-Vorpommern und die zu Vorpommern gehörigen Inseln Usedom und NVolliu im Sinne habe, ihre Spuren hinterlassen.

Auf der Insel Rügen habe ich seit 1900 Feuersteingeräte von ausgesprochenst palaeolithischem Typus auf den Halbinseln Wittow und Jasmund sowie auf Hiddensöe festgestellt. Es handelt sich nicht bloss um Funde aus den ältesten neolithischen Zeiten, ähnlich der Kjökken- möddinger-Periode, welche Rudolf Baier (die vorgeschichtlichen Altertümer des Provinzial-Museums für Neuvorpommeru und Rügen, Berlin 1880 S. 15 undBeiträge zur Landes- und Volkskunde der Insel Rügen, Greifswald 1899 S. (16) im Sinne hat, sondern um tatsächlich dem Diluvium zuzurechneude, d. h. wirklich palaeolithische Feuersteine, dem älteren Diluvium, wie es sich unter dem Schutz der Kreidehorste z. B. an der Jasmunder Ostküste uud am Gellort auf Arkona erhalten hat und nicht minder in der oftmals sehr dünnen diskordant übergelagerten Decke jüngerer geschichteter Glazialbildungen. (Vgl. Rudolf Credner: Rügen: Eine Inselstudie. Stuttgart 1893, S. 452 ff.) Dank den Verwüstungen, welche der Sturm­wind und die Sturmflut vom 18./19. April 1903 an den Aussenufern der Insel Rügen angerichtet hat, ist es mir gelungen, während mehr­tägiger Exkursionen eine Reihe palaeolithischer Geräte und Absplisse aus der Gegend zwischen Crampass, Sassnitz, Stubbenkamer und Lohme zu sammeln.

Ich bin fest überzeugt, dass die palaeolithische Kultur auch in Mecklenburg und Holstein existiert hat sogut wie in der Provinz Pommern. Wie aber lassen aufwärts gerechnet diese Spuren des Vormenschen sich mit der Yoldia-, Ancylus- bezw. Litorina-Zeit parallelisieren ? Abwärts gerechnet finden sich in den vom Altmeister Rudolf Baier a. a. O. geschilderten Feuersteinbearbeitungen die Über­gänge zur Kultur der altalluvialen jüngern Steinzeit.

Dazu kommt das seit kurzem zweifellos gesicherte Auftreten des Ur-Menschen in der Morgenröte seines Daseins, weit, weit vor dem palaeolithischen Vorgeschichtsmenschen, d. h. das Auftreten des Urmenschen der eolithischen Periode. Schon sind in unserer an Mecklenburg angrenzenden Prignitz zweifellose Eolithe, Feuer­steine ohne Zurichtung aber mit energischen Gebrauchsspuren, gefunden.