Die Mäuse am Denkmal der h. Gertrud.
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teil wird. Dass letzterer eine Gans mit sich führt, soll ihn wohl nicht als Gänsedieb bezeichnen. Die Gans steht, gleich dem Schwan, der Wolkengöttin nahe, die wiederum die innigste Beziehung zum Feldbau hat. Die Gestalten und Namen, die der Mytus der nordischen Wolkengöttin (Frigg und Freyja, bez. Huldra und Iduna) in diesem oder jenem Gaue zeitigte, — wie z. ß. Frau Holle oder Ilolda, Frau Harke, Frau Bertha oder Perchta, Urschel, weisse Frau — gaben einzelne Züge an die li. Gertrud ab. Da die Wolkengöttin auch über Flachsbau und Spinnarbeit schwebte, was heute noch in abergläubischen Gebräuchen nach wirkt, versäumte Siemering nicht, der h. Gertrud die Spindel mitzugeben. Die Heilige ist eine ebenso anmutige, wie würdige Erscheinung, zu der ein durstiger Wanderbursch oder fahrender Schüler (selbst einer mit bösem Gewissen) Vertrauen haben kann. Sie wird, abgesehen von „Willekum“ und „Gertrndsminne“ der armen Seele nicht hart begegnen.
Der armen Seele! — Da haben wir einen fest eingeschlagenen Haken, an den wir ein Gedenken der h. Gertrud und somit die Mäuse hängen könnten: auch der jugendfrische, kecke Bursche wird einst als nackte arme Seele vor der h. Gertrud erscheinen. Aber die Mäuse möchten ebenfalls ein wenig teil an unsern Seelen haben; so sagt wenigstens der Volksmund. Wir wollen nun die kleinen Bösewichter bis in jene so lange schon vei’sunkene Zeit verfolgen, da sie dem noch kindlich denkenden Menschen ein Rätsel aufgaben.
(Die Maus im Seelenmythus. — Nacht, Vernichtung und Tod. — Die Ratte.) Wenn wir unserer eigenen Kindheit gedenken, so erinnern wir uns auch, wie mächtig unsere Einbildungskraft bewegt wun de, wo es sich um dunkle Räume oder auch nur um dunkle Winkel handelte, und ebenso, wenn plötzlich etwas Lebendiges neben uns auftauchte oder verschwand. In all diesen Fällen gab es bei dem einen oder andern (ich gestehe freimütig: bei mir in einer recht weitgehenden Weise) krause Gedanken, die oft gar nichts mit der Wirklichkeit gemein hatten und doch trotz aller nüchternen Erklärung hartnäckig an ihrem Ausgangspunkt haften blieben.
Viele Merkw ürdigkeiten des alten Volksglaubens haben eine gleiche Entstehungsgeschichte; das lässt sich z. B. im Seelenmythus nach weisen.
„Alt ist auch die Verwandlung der Seele in kriechende Tiere, die aus der Erde, die den Toten birgt, rasch, leise hervorschlüpfen und wieder verschwinden und zum Teil das Haus mitbewolinen. 1) Schlange, 2) Kröte oder Unke, Ü) Wiesel, 4) Maus; die drei ersten deshalb auch von den Hausbewohnern traulich „Mühmlein“ genannt“,*) welcher Kosename der Maus vorenthalten ward.
: ) E. H. Meyer, Germanische Mythologie 8. 03.