Die Mäuse am Denkmal der h. Gertrud.
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So im deutschen Volksleben. — Doch auch anderweitig und schon in grauen Altertum sozusagen in ein System gebracht treffen wir ein besonderes Interesse für die Maus an; und immer sind es dieselben Eigenschaften, die den Anschauungen zu Grunde liegen.
„Die Maus ist wegen ihres Aufenthaltes unter der Erde und in finsteren Winkeln, sowie auch wegen ihres alles benagenden und
zerstörenden Zahnes ein chthonisches Tier. Sie war iu Indien und
Egypten das Symbol der Nacht, in welchem letzteren Lande sie der
Nachtgöttin Athor, die auch unter ihrer Gestalt vorkam, geheiligt war. Es ist daher auch ferner die Maus ein Sinnbild des Verderbens und des Todes, wie in Griechenland; daher liess in Mysien der Kultus dem Pestsender Appollo Smintheus unter seinem Altäre heilige Mäuse nisten; sowie auch auf Münzen Apollo drohend dargestellt wird: in der
rechten Hand die Maus, in der linken den Pfeil, mit welchem er die Pest sendet; und auf Münzen von Tenedos ist die Maus neben dem Kopfe dieses Gottes abgebildet. Die Bildsäule, -welche dem Könige Sethon zum Andenken an die Pest im Lager der Assyrer errichtet wurde, hatte in der einen Hand eine Maus, w T eil diese das Sinnbild der Vernichtung, mithin auch der Pest ist.“*)
Doch kehren wir zu unsern Mäusen zurück!
Wenn innerhalb der Forschung vereinzelt — wie z. B. durch Siebs**) — die Zulässigkeit der Seelen-Venvandlung in Mäuse bestritten wird, so ist besagter Volksglaube doch von andern (wie Zingerle, E. II. Meyer und Friedreich) durch Beispiele bezeugt. Der Ideenkreis Nacht, Vernichtung und Tod berührt sich mit dem Ideenkreis Tod und Seele. „Mäuse verlassen beim Tode des Hausherrn das Haus. — Die Seele kriecht als weisse Maus aus dem Munde. — Die Maus als Seele des Träumenden.“ (E. II. M. 64.)
Wir wollen hier um so weniger dieser Streitfrage nachgehen, als die Mäuse auf dem Denkmal der h. Gertrud wohl lediglich das Verderben vorstellen sollen, dem die Heilige (gleich vielen männlichen Heiligen) durch Gebete entgegentreten konnte. Aus Schonung für unsere Nerven hat Siemering die Ratten weggelassen, gegen die die h. Gertrud ebenfalls zu Felde zog.
Auch die Ratte ist Sinnbild des Todes; und da sei vor allem an die Sage vom Rattenfänger von Hameln erinnert.
„Im Jahre 1 1284 erschien zu Hammeln (Hameln) ein buntgekleideter, deshalb Bundling genannter Mann, der sich für einen Rattenfänger ausgab und sich anheischig machte, die Stadt für einen gewissen Lohn von ihren Ratten und Mäusen zu befreien. Nachdem man auf dieses
*) J. B. Friedreich, Die Symbolik und Mythologie der Natur. (1859). S. 428 f.
*•) Th. Siebs, Das Saterland. S. 3731 (Z. d. Vereins f. Volksk. 1893.)
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