Heft 
(1903) 12
Seite
455
Einzelbild herunterladen

Die Mäuse am Denkmal der h. Gertrud,

455

In Gossensass hat derjenige, der beim Dreschen den letzten Schlag tut, den Dreschzoll; er wird gefoppt, und man steckt ihm tote Mäuse in die Tasche*)

Überall bleiben die unerlässlichen Sorgen für Brodgetreide mit den ihrem eigenen Lebenserwerb nachgehenden Mäusen eng verbunden; und selbstverständlich mussten die christlichen Heiligen, die leise und sieghaft an Stelle der heidnischen Gottheiten traten, auch die Pflichten und Ehren übernehmen; und die h. Gertrud war wie wir gesehen haben aus verschiedenen Gründen dazu geeignet.

(Mäuse und Ratten als Rächer von Missetaten.) Wir haben noch andere Vorstellungen zu berücksichtigen, die sich an die Mäuse und Ratten knüpfen. Ob auch die h. Gertrud solche Vor­stellungen gelten liess, ist zwar nicht gesagt worden, kann aber mit Sicherheit vorausgesetzt werden.

Mäuse und Ratten, die Wohnungsgenossen der Hauselfen haben das plötzliche und unerwartete Erscheinen und Verschwinden mit diesen gemein. Die Kobolde und Plagegeister kamen in Gestalt von Ratten; und die Sagen vom Rattenkönige sind jenen vom boshaften Elben ähnlich. [Vielleicht teilt einer oder der andere von ihnen, geehrte Anwesende, nachher solche mir leider nicht zugänglich gewesene Rattenkönig-Sage mit, wenn ihm das Thema nicht zu grausig ist.] Mäuse und Ratten sind im Volksglauben eine Landplage, eine Geissei Gottes und die Rächer von Missetaten. So in der Sage vom Bischof Hatto (II. 9(58 979) von Mainz, der des Kornwuchers halber von den Mäusen aufgefressen sein soll. Noch heute zeigt man den sog. Mäuse­pfad, den die Schar der kleinen Rächer aus den Niederlanden gen Bingen eingeschlagen haben soll. Diese Strasse zieht sich die Sand­anschwemmungen des östlichen Rheinufers entlang. (Die Gegend ist ihres leichten Bodens wegen den Mäusen sehr günstig. (Montanus 172.)

Die Sage blieb bekanntlich nicht beim Kornwucher des Erz­bischofs Hatto II. stehen. Bei einer Hungersnot soll Hatto (der übrigens in Wirklichkeit ein tüchtiger Staatsmann war, der das Königtum mit Erfolg gegen die unbotmässigen Grossen verteidigte) eine Menge armer Leute, unter dem Vorwände: ihnen Nahrung geben zu wollen, in eine Scheune gesperrt und diese dann angezündet haben. Als man das Klageschrei der Unglücklichen vernahm, soll Hatto die Umstehenden gefragt haben, ob sie seine Brodmäuse piepen hörten. Dafür haben ihn nachher zahllose Mäuse bedrängt und zwar so sehr, dass er um sich vor ihnen zu retten mitten im Rhein einen Turm (den bekannten,

1 (>35 von den Schweden zerstörten Mäuseturm bei Bingen) erbauen liess. Aber auch hier fand er keine Ruhe; und schliesslich wurde er von den

*) Marie Eehsener, aus Gossensass u. s. w. S. 1071 (Z. d. Y. f. V. 1894.)