Issue 
(1908) 17
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Das alte und neue Potsdam.

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nisonkirche ist die Wand bewußt aufgelöst, um mit fein gestimmten Rhythmen in die Spitze überzuleiten; bei dem anderen Werk ist sie in starrer Leblosigkeit erhalten, ohne daß sie dadurch dem Turm Ruhe und Harmonie geben kann.

An anderen neuen Werken kann man es fast ablesen, wie die Architektur zustande gekommen ist. Da werden so und so viele architektonische Einzelheiten skizziert und einem neuen Werke aufgeleimt, ohne Sinn für die Wirkung, ohne Verständnis für den Zweck. Gerade das Hans, das jedem Besucher beim Überschreiten der Langen Brücke zuerst ins Auge fällt, ist ein treffliches Beispiel für die Architektur, wie sie nicht sein soll. Hier ist die Absicht, in friderizianischem Geiste zu bauen, zum Verhängnis geworden. Alles, was an Feinheiten in der Stadt zu finden ist, ist vergröbert; wo der Maßstab allein hätte wirken können, ist die Maßstablosigkeit im kleinen, wo eine ruhige Schlichtheit sich dem benachbarten Schlosse ausgezeichnet eingefügt hätte, eine un­ruhige Häufung von guten und schlechten Motiven. Und oben wird das gänzlich verfehlte Dach noch von einem unleidlichen Gitterwerk gekrönt, das, vom Süden gesehen, die schöne Linie der Nikolaikuppel brutal durchschneidet.

Diesem Werke gegenüber möchte man die großen philisterhaft trivialen Mietshäuser, die vor der Renaissance-Seuche in den sechsziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden sind, noch als einen Gewinn betrachten. Vor dem Berliner Tor steht eines, dessen Baumeister von vornherein jeden künstlerischen Ehrgeiz aufgegeben hat. Die in jener Zeit üblichen Formen sind ohne besondere Ansprüche rein mechanisch, aber auch ohne Verschwendung in knappster Dürftigkeit verwertet; nur der Maßstab des viergeschossigen Gebäudes fällt unangenehm auf und dürfte bei weiteren ähnlichen Bauten das hübsche Berliner Tor bald vollends erdrücken.

Wir dürfen übrigens die Gegenwart nicht einseitig belasten. Schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts macht sich, wie überall in Deutsch­land, auch in Potsdam das Vorkommen der künstlerischen Grundlagen im Stadtbilde bemerkbar. Man glaubte durch Ritterburgen und andere romantische Erinnerungen das zu ersetzen, was die innere Blutleere in der Kunst nicht geben konnte. Das Gymnasium in der Kurfürstenstraße und andere benachbarte Gebäude sind Denkmäler dieser verkehrten Ent­wicklung. Freilich befand man sich dabei in dem verzeihlichen Irrtum, die Baugedanken Friedrich Wilhelms IV. und seiner Architekten auch in der Stadt weiterspinnen zu können. Soweit diese, die sich haupt­sächlich als Ausklang der großartigen gartenkünstlerischen Auffassung des Königs dem Laudschaftsbilde einfügen, in Schlössern und Kirchen zum Ausdruck kamen, sind sie zu einer architektonischen Bereicherung der Stadt geworden. Das feine künstlerische Gefühl dieses Fürsten

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