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21. (8. ordentliche) Versammlung des XVI. Vereinsjahres.
ist die Französierung vollständig. Einzelne von den Württembergern importierte Gebräuche haben sich erhalten.
Der um die Volkskunde hochverdiente Dr. Eduard Hahn hat den Sahlerschen Aufsatz in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde (18. Jahrg., Heft 1, 1908, S. 120 und 121) besprochen und schließt mit den Worten: „Daß die Franzosen uns sehr irrtümlich als Sauerkraut
esser bezeichnen (in Lübeck war, so weit ich weiß, bis 1870 Sauerkraut ganz unbekannt), geht daraus hervor, daß man in Mömpelgard seit alten Zeiten Donnerstags Sauerkraut ißt. Vielleicht geht die Berliner Zusammenstellung von Erbsen und Sauerkraut gar auf französischen Einfluß zurück?“
Herr Sahler hat mit einiger Heftigkeit bestritten, daß die Franzosen Sauerkrantesser seien und daß die Franzosen (etwa die Refugiés) den Genuß dieses Volksgerichts in Berlin und Deutschland eingeführt hätten. Herr Sahler hat recht. Schon die französischen Ausdrücke für Sauerkraut Chouxcroute, bei Zola n. a. neuerdings Sourcroute lehren, daß dieselben verdorbenes Deutsch und aus Deutschland importiert sind. Die Deutschen werden ja spottweise Sauerkrautesser genannt; da kann man doch nicht annehmen, daß die Franzosen das Gericht in Deutschland eingeführt haben.*)
Man muß in Deutschland drei Zonen inbetreff dieses Kohlgerichts ziehen, die noch jetzt erkennbar sind.
In der nördlichsten Zone an der Ost- und Nordsee ist dies Kohlgericht niemals heimisch gewesen; also nicht in Vor-Pommern, Mecklenburg, Schleswig-Holstein, in den Hansestädten, im hannoverschenKüsten- land, Ostfriesland und Oldenburg.
Dann kommt die mittlere deutsche Zone mit Berlin, in welcher der Sauerkohl seit unvordenklicher Zeit heimisch ist. In dieser Zone ist der Ausdruck Sauerkraut nicht üblich, wenn er auch infolge der Freizügigkeit an vielen Orten allmählich verständlich geworden ist. Die Grenze nach Süden gegen das Sauerkrautgebiet ist etwas schwankend. Im Braunschweigischen z. B., wo man jetzt noch in Stadt und Land Sauerkohl herstellt, wird er nach Mitteilung des Herrn Professor Dr. Henking auch Sauerkohl genannt. In meiner Jugend sprach man immer von Magdeburger Sauerkohl, jetzt führen manche von den großen Firmen in Magdeburg die Bezeichnung Sauerkraut.
Die dritte Zone ist die süddeutsche, österreichische (deutsch- slavische) und die westdeutsche Zone Rheinland, Baden, Elsaß u. s. f.,
*) Die Italiener sagen „salerut“ oder „salkrout“, d. i. in Salz eingelegtes Kraut, Salzkraut, Salzkohl, es ist bei ihnen hauptsächlich während der österreichischen Herrschaft in Ober- und Mittel-Italien eingeführt worden. Sonst „cavoli salati“, „cavoli insalati“ mehr unserm frischen, ungegohrenen Kohlsalat entsprechend.