Heft 
(1908) 17
Seite
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3. (2. ordentliche) Versammlung des XVII. Vereinsjahres.

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Wenn die Heidelerche vor einem, der auf Freiersfüßen geht, auf­fliegt, so ist das ein böses Zeichen: dann flieht ihn die Geliebte.

Der Johannisbeerstrauch, der nach der Legende aus des Täufers Leiche gewachsen ist, hat durch das Märtyrerblut Johannis des Täufers, das in seinen Beeren fließt, besonders bei einem Strauch, der in der Johannisnacht (24. Juni) gepflanzt wird, die Kraft, Liebe zu bewahren.

Wenn ein Liebender zwei Rosen in den Bach wirft und sie treffen dort aufeinander, so kommt die Ehe zustande, im anderen Falle nicht.

Es ist nicht gut, den Trinkkrug mit der Hand über dem Deckel anzufassen, sodaß er überspannt wird; dann bekommt der erste, der daraus trinkt, den Ilerzensspann.

Wenn eine Frau oder ein Mädchen auf der Gasse ihr Strumpfband verliert, so wird ihr der Mann oder Freier untreu.

Nach seiner Freilassung 1851 fand Niendorf in Isterbies bei Loburg eine Hauslehrerstelle. In dem benachbarten Dorfe Rosian lernte er seine zukünftige Lebensgefährtin, eine Tochter des Pfarrers Hemprich, kennen. Ihr sind seineLieder der Liebe geweiht, die 1854 gedruckt wurden und später unter dem Titel:Gedichte von M. Ant. Niendorf

erschienen sind. Sie enthalten zahlreiche Perlen lyrischer Dichtkunst.

An größeren Dichtungen schrieb er in dieser zweiten Periode das nach seiner Lieblingsblume genannte MärchengedichtAnemone, sowie das GedichtLiebenstein, eine thüringische Sage, ferner die gekürzte Bear­beitung des Gudrunliedes sowie die Uebersetzung des Nibelungenliedes und der Frithjofsage.

Um seine Verlobte heimführen zu können und damit kommen wir zur dritten Periode pachtete der Dichter 1854 das Rittergut Raßdorf bei Zahna. Mit hingebender Lust und Liebe widmete er sich hier den Sommer über der Landwirtschaft, während der Winter der Schriftstellerei gehörte. So dichtete er von 185760 das vater­ländische EposDer alte Dessauer.

Mit der ihm eigenen Unermüdlichkeit schrieb er oft bis in die Nacht hinein. In der Kinderstube, dem Heiligtum der Familie, saß er in Raß­dorf mit seiner treuen Lebensgefährtin in der Stille der Nacht an der Wiege und dichtete und schrieb. Schöne, weihevolle Stunden waren es wenn er Kapitel um Kapitel seiner Emilie vorlas, um ihr Urteil zu hören denn sie sei sein Publikum, sagte er, und habe einen guten Geschmack.

Das Epos beginnt mit dem Tode des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelms I. und schildert weiter den bald darauf sich entspinnenden Konflikt des jungen Königs mit dem alten Haudegen Leopold von Dessau, der rechten Hand Friedrich Wilhelms; gern will er dem jungen Könige einem dem Vater gegebenen Versprechen gemäß dienen, wird aber von Friedrich als Reichsfürst mißtrauisch behandelt und bitter gekränkt und zieht sich mürrisch nach Dessau zurück, bis ihm der König die Hand