Heft 
(1908) 17
Seite
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Elisabeth Lemke.

Auch das Blut der Opfertiere vermochte zu heiligen und zu sichern. Wenn bei den Israeliten am Passahfeste die Türpfosten mit Opferblut angestrichen wurden, so geschah es zum Zeichen, daß der Würgeengel an diesen Häusern vorübergehen sollte (2. Mos. 12, 7). Und Ilahab be­festigte gewissermaßen zu gleichem Zwecke ein blutrotes Seil am Fenster ihres Hauses (Josua 2, 1218; 6, 1725). Ferner lesen wir: Moses und Aaron erhielten die Weisung, es solle einerötliche Kuh geopfert werden, von deren Blut der Priester Eleasar siebenmal gegen die Stifts­hütte zu sprengen habe, worauf zu der brennenden Kuh nicht nur Holz, sondern auch scharlachrote Wolle geworfen werden müsse (4. Mos. 19, 16). Auch bei einer andern Gelegenheit wird die zum Opfer gehörende scharlachfarbene Wolle erwähnt (3. Mos. 14, 4 u. 6).

Sowohl bei Hebräern, wie bei Ägyptern und Syrern war es Brauch, an bestimmten Tagen (Wintersonnenwende usw.) die Türen der Tempel, Paläste und Hütten mit einem blutdurchkneteten Teige anzustreichen. Ein Gleiches fand in Peru beim Sonnenfeste statt und gilt noch jetzt beim Nauruzfeste (d. i. der Neujahrstag in der Frühlings-Tag- und Nacht­gleiche) in Persien, wo dann auch die Hörner der Tiere rot bemalt werden.')

Opferblut und Ablösung durch rote Farbe bilden einen eigenen, abgeschlossenen Kreis. Doch von einem bestimmten Gesichtspunkte aus erkennen wir, daß verschiedene Vorstellungen in diesen Kreis gezogen und (wie dies ja bei mythologischen Fragen als selbstverständlich vor­auszusetzen ist) mit dichterischer Freiheit oder vielmehr kindlichem Deutungsbemühen in Wechselbeziehung zu einander gebracht werden.

So kamen auch das himmlische Feuer, der Blitz und die Gestirne, sowie allerlei kleine Fabelwesen in Verbindung mit der roten Farbe. Während sich (in sich begegnenden und wunderbar ergänzenden An­schauungen) der Glaube an die Feuerbeschaffenheit der Seele ausbildete, ward in bemerkenswerter Übereinstimmung die rote Farbe zum Zeugnis göttlicher Kraft und Macht; sie bekundete von jeher Größe, Würde, Pracht und Freude; sie wurde zugleich die Farbe der Leidenschaft, daher der Liebe und des Zornes, sowie der Schreckliches mit sich führenden Gewalt. Bis auf den heutigen Tag haben Priester und Fürsten die rote Farbe bevorzugt.

Eine häßliche, wohl vereinzelte Erklärung für letzteres finden wir bei Ludwig Bechstein * 2 )Verrat und Mord kämpfen und ringen unter purpurnen Königsmänteln, die deshalb rote Farbe tragen, damit man das Blut nicht sähe, mit dem sie so oft befleckt werden.

) E. L. Rochholz, Deutscher Glaube und Brauch im Spiegel der heidn. Vorzeit. II, S. 227.

2 ) Ludwig Bechstein, Der Sagenschatz des Thüringerlandes. II, S. 8.