Die rote Farbe.
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niemals seinen Füll auf den Boden setzte und doch kam und ging auf den Pfaden. Die Lösung lautet: Die Sonne. „Apäd“, fußlos, ist ein Beiwort des Sonnengottes und der Morgenrot-Göttin 1 )
Neben die Morgenrot-Göttin stellte die naive Volksdichtung ein weibliches Wesen, das die Abendröte angeht: das uns allen von unsrer Kindheit her bekannte Rotkäppchen. Der Wolf, der das liebliche Kind verschlingt, ist die Nacht; und der Jäger mit seinen Pfeilen ist die Sonne mit ihren Strahlen. (Die Großmutter ist eine Zugabe späterer Zeit.) — Die griechischen Sonnengötter Apollon und Herakles waren gleichfalls ausgezeichnete Schützen. 2 )
Es wurden, wie wir sahen, Feuer und Seele in Verbindung gebracht. Weitaus uugesuchter, überzeugender und wohl auch ganz allgemein bildete sich die Ansicht aus, die in den Bibelworten „Die Seele des Fleisches ist im Blute“ 3 ) und „Das Blut ist die Seele selbst“ 4 5 ) ausgedrückt ist.
Bei allen Völkern haben die Götter nach diesem Blut Verlangen getragen. Insgesamt [sagt Rochholz, I. S. 3 f.] bedürfen die alles erschaffenden und erhaltenden Götter ihres eigenen Geblütes; und hierin allein schon liegt der Grund alles blutigen Opfers; denn je blutreicher ihre göttlichen Körper durch den Genuß eines gediegenen Opfermahles gemacht werden können, um so dauernder wird ihre Gottheit sein, und um so herrlicher vermögen sie fortzufahren, eine immer in den Tod zurücksinkende Menschheit zu entsöhnen, zu erlösen, zu verjüngen. — Aber das eigentliche Blut der Götter dachte man sich doch abweichend vom bloß menschlichen und tierischen. Den Götterhimmel mit allen seinen Gestirnen, den Leib der Götter selbst, nicht minder auch den ihrer Lieblingswesen, ihrer Gefolgs- oder Wappentiere, durchrinnt ein Geblüt, das pui'es Gold ist. „Den ganzen Ilimmelsraum durchrinnt ein goldenes Liebes- und Glückseligkeitsblut. — Die Sonne streut im Aufgange Gold aus und geht im Westen wieder zu Golde. — Dem Regenbogen entstammen die kleinen goldenen Münzen, die der Volksmund ,Regenbogenschlüsselchen“ nennt.“ (Rochholz.) — Freyas Tränen sind rotes Gold. ; ')
Doch wir müssen hier auf das rote Gold und die feurig leuchtenden Schätze verzichten und uns — der roten Farbe wegen — ein wenig nach Blut umsehen.
•) O. H.-A. K., S. 283 f.
5 ) O. H.-A. R., S. 7.
8 ) 3. Mos. 17, 11 .
4 ) 5. Mos. 12, 23.
5 ) Ludwig Froytag, Die Nordisch-Germanische Mythologie. S. 191. (Anhang zu Friedrich Nösselt, Lehrbuch der griechischen und römischen Mythologie. 7. Aufl.)