Heft 
(1908) 17
Seite
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Kleine Mitteilungen.

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Eine Baum-Chronik. Wanderer, der du durch unsere heimatlichen Dörfer streifst, geht dir nicht das Herz auf beim Anblick ihrer alten schönen Bäume? Zumeist sinds Linden. Am Dorfteich betrachten sie ihr Bild im Spiegel oder lauschen der Zwiesprache, die dort in ihrem Schatten gepflogen wird; sie grüßen dich an Tür und Tor, schirmen Dach und Giebel, sie schauen über Dachfirst und Torbogen hinein in Hof und Haus, als wollten sie sagen: Was hierdrin passiert, das geht uns auch an, wir erlebens mit, hier sind wir zu Hause und vieles können wir erzählen aus längst vergessenen Tagen. Fragst du aber die Leute, wie alt wohl ihre Bäume sein möchten oder wer sie gepflanzt hat, so lautet die Antwort:Das wissen wir nicht! Schade. Sie schätzen und lieben sie ja, sonst hätten sie sie doch längst verwertet. Warum denn wissen sie so wenig von ihnen? Das ist aber nicht schwer zu sagen: vom Mangel heimatlicher Geschichtspflege kommts. Und doch wäre sie eine gar schöne und segenbringende Sache. Nicht allein die großen Städte, auch die kleinen, ja jede Dorfgemeinde sollte ihren Stolz darein setzen, ein wenn auch noch so bescheidenes ortsgeschichtliches Archiv zu besitzen. Aber nicht etwa würde sichs lediglich um Niederschriften handeln, um zu berichten, wie die Zeitgeschichte mit ihrem Arm auch in das entlegene Dorf hineinlangen kann oder wüe der Zeitgeist im guten oder üblen Sinne seinen Einzug hält: ebenso wichtig für die Berichterstattung wären die jeweiligen örtlichen Geschehnisse und ihre Wirkung auf die Gedanken- und Gefühlswelt der Gemeindeglieder. Wenn der Hans die Grete freit, so ist das bekanntlich eine so wichtige Sache, daß es ins Kirchenbuch eingetragen wird. Daß aber derselbe Hans unter Hintansetzung seines eigenen Lebens einen Buben aus dem Mühlenteich gezogen hatte, der dort durchs Eis gebrochen war, davon berichten die Akten nichts. Oder: die Vorfahren des Kirchbaues in Ndorf sind ausweislich des Kirchenbuches seit Mei^schengedenken im Besitz des stattlichen Hofes gewesen. Nun bezeugt der hochbetagte Auszügler des Nachbarhofes, daß die beiden herrlich ragenden Linden zwischen Hof und Kirche vom Urgroßvater zum 300. Geburtstag Dr. Martin Luthers, also am 10. November 1783, und die beiden mit ihnen wetteifernden am Torweg am Reformationsfest 1817 vom Großvater des Bauern gepflanzt worden seien. Wenn die späteren solches in den Blättern ihres dorfgesehiehtliehen Archivs verzeichnet fänden: gelt, würden sie nicht die Bäume mit ganz anderen Augen ansehen?Seht, würden sie mit innerem Anteil sagen,das sind unsere Luther-Linden und das sind die Reformationslinden unserer Kirchbauern. Wie sie groß und schön geworden sind! Und wie vieleReformationsbäume werden 1917 gepflanzt werden? fügen wir fragend hinzu. Handelt es sich endlich darum: wer soll die Akten führen? Schon jetzt gibts in deutschen Landen zerstreut einzelne Geistliche, Lehrer und Privatleute, denen es ein Bedürfnis ist, solche Niederschriften zu machen und zu sammeln; ihr Verdienst um Heimat und Volkstum wird nicht ungewürdigt bleiben! Möchten Kirche, Staat und die Vereine für Volkskunde, Ortsgescliichte und Heimatpflege ihre Tätigkeit und ihre Anregungen auch auf die schöne Gepflogenheit örtlicher Geschichts­schreibung richten, damit diese ihre Kreise immer weiter ziehe und sich in Archiven verdichte. Dann werden auch unsere alten schönen Bäume in