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Dr. phil. Julius Boehmer.
einen kehrt Luther 1717 in großer Herrlichkeit zurück, laut dem anderen kehrt derselbe Luther 1717 mit Tränen wieder. Allein der Widerspruch ist doch keineswegs ein unauflöslicher, und man hat keine Ursache zu meinen, die "Verse bedeuteten nichts als eine harmlose Spielerei. Dazu war denn doch die Kirche auch dem Geschlechte damaliger Zeit ein zu heiliger Ort, als daß sie ungereimte, sinnlose, nichtssagende Dinge in Versen hineingeschrieben hätten und dies obendrein in die Mitte der Vorderseite des Altars, welcher das Allerheiligste des neuen Bundes trägt; damals kam es nicht vor, wie heutzutage, daß profan gesinute Baumeister innerhalb des Kirchengebäudes irgendwo anbringen, was sich nicht ziemt. Vielmehr kann recht wohl ein und dasselbe Jahr nach zwei Seiten hin, sogar in entgegengesetztem Sinn, beschrieben werden. 1717 ist ein Jahr der Herrlichkeit, nicht minder aber ein Jahr der Tränen zu nennen. Zum Verständnis des ersten Hexameters ist zu beachten einmal, daß wenige Tage zuvor (s. o.) das 200 jährige Jubelfest der Reformation in dreitägiger Feier begangen worden war und die Einweihung dieser Gottesdienststätte als ein Nachhall jenes Jubiläums gelten durfte. Indem Luthers Gedächtnis in der dreitägigen kirchlichen Jubelfeier erneuert wurde, war er allerdings florens wiedergekehrt. Sodann soll Luther selber einst auf dem Rabenstein gewesen sein und hier gepredigt haben. Ist das auch nicht urkundlich nachzuweisen, so ist doch beglaubigte Tatsache, daß er in Belzig 1530 Visitation gehalten und gepredigt (vgl. Chronicon Belticense 1742, S. 30 ff.) und demnach auch die zugehörigen Parochieen, zu denen Raben mit dem Rabenstein gehört, aufgesucht hat. Jedenfalls gilt in der ganzen Gegend noch heute die alte Überlieferung, daß Luther auf dem Rabenstein gepredigt habe (sogar daß er der Pfarrkirche in Raben Glocken und Uhr geschenkt habe), und diese Überlieferung ist ohne Zweifel schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts vorhanden gewesen. Hat nun Luther, sei es in Wirklichkeit, sei es nur gemäß der alten Überlieferung, auf dem Rabenstein gepredigt, so will der erste Hexameter sagen, daß Luther jetzt in seinen Nachfolgern bez. Geisteskindern wiedergekehrt sei, indem nunmehr seine Nachfolger oder Geisteserben auf dem Rabenstein predigen. Luthers Predigt steht also zweihundert Jahre nach ihm insofern in Herrlichkeit, als sie immer noch eine Stätte, dieselbe Stätte wie damals, die Burg des Rabensteins findet.
Zugleich freilich, das will der zweite Hexameter, hat Luther jetzt Ursache zu klagen. Er findet es nicht mehr so wie zu seiner Zeit. Seine Predigt erschallt, und doch ist es nicht mehr seine Predigt. Die Lehren des Orthodoxismus, der sich für den einzig echten Erben lutherischer Lehre hielt, wurden von dem neu aufgekommenen und überhand nehmenden Pietismus angefochten: Luther würde seine Lehre im Gewände des Pietismus nicht wiedererkennen. Mühlmann hat ja Recht,