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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Intelligenz und Hirnschädigung 187 1. Einleitung

a) Begriffsbestimmung

Die Intelligenzforschung befindet sich trotz unverkennbarer wissenschaft­licher Fortschritte in einem unbefriedigenden Stadium ihrer Entwicklung (vgl. Herrmann, 1969). Meili(1971, S. 207) charakterisiert die Situation wie folgt:So klar uns scheint, was unter dem Begriff Intelligenz zu verstehen ist, wenn wir es z.B. mit einem Intelligenztest zu tun haben, so besteht heute doch noch keine allgemein anerkannte Definition. Undiskutiert ist, daß unter Intelligenz eine Fähigkeit, d.h. eine Bedingung oder ein Bedin­gungskomplex bestimmter Leistungen zu verstehen ist. Welches jedoch Intel­ligenzleistungen sind, ist nicht eindeutig bestimmt, wenn auch natürlicher­weise eigentliche Denkprobleme allgemein dazu gerechnet werden; noch kontroverser sind die Anschauungen über die innere Natur dieser Fähigkeit.

Die relative Stagnation der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Intel­ligenz ist z. T. darin begründet, daß Berührungs- und Überschneidungszonen mit anderen psychologischen Disziplinen, insbesondere der Denk- und Lern­psychologie, nicht genügend erkannt und genutzt wurden. Die Intelligenz­forschung ist traditioneller Gegenstand derDifferentiellen Psychologie, während Denken und Lernen primär unterallgemeinpsychologischen Aspekten untersucht werden.

Analysiert man bekanntere Intelligenzdefinitionen(z.B. Stern, 1912; Wechsler, 1944; Heiss, 1960; Cattell, 1963; Groffmann, 1964; Guthke, 1972), so stößt man vor allem auf folgende Konstrukte: Denkfähigkeit, Lernfähigkeit, Anpassungsfähigkeit an die Umwelt. Es stellt sich mithin die Aufgabe, die genannten drei Begriffe näher zu betrachten.

Bei der Bemühung um eine präzise Fassung und Abgrenzung der Begriffe Denken undLernen stößt man auf ähnliche Schwierigkeiten wie bei der Definition des BegriffesIntelligenz. Dies zeigt sich etwa am Beispiel des Problemlösens, das von Gagne(1969) als eine Form desLernens(Lernen einesPrinzips höherer Ordnung) und von Wertheimer(1957) alsDenken aufgefaßt wird. Als fruchtbarer Ausgangspunkt für eine Diskussion der oben genannten Konstrukte und deren Beziehungen zueinander erweist sich die Intelligenztheorie von Piaget, in der das Konzept derAnpassung an die Um­welt eine zentrale Rolle spielt.

Nach Piagget kann die Anpassung eines Individuums an seine Umwelt (Adaptation) verstanden werden als das Produkt von Assimilations- und Akkomodationsprozessen, die mittels kognitiver Schemata erfolgen. Wird eine Person mit einem bestimmten Objekt der Umwelt konfrontiert, so wird sie zunächst unter Rückgriff auf ihre kognitiven Schemata versuchen, dieses Objekt zuassimilieren bzw. zu interpretieren. Reicht die Assimilation bzw. das bisherige Arsenal an kognitiven Schemata nicht aus, so erfolgt eine Akkomodation der Schemata an die neuartigen Umweltbedingungen.

Das Konzept der Akkomodation eignet sich für eine Definition vonLer­nen. Darunter wären im wesentlichen drei Prozesse zu verstehen, die das Ergebnis von Interaktionen zwischen Individuum und realer oder kognitiv repräsentierter Umwelt sind und die zu Verhaltensänderungen führen: