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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
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Intelligenz und Hirnschädigung 189

b) Intelligenz und Lernen

Die Auffassung, es müsse eine positive Beziehung zwischen Intelligenz und (intellektueller) Lernfähigkeit bestehen, ist weit verbreitet. Nicht selten wird das Konzept der Lernfähigkeit zur Intelligenzdefinition herangezogen. Meili (1971, S. 210) bemerkt hierzu:Während langer Zeit bestand kaum ein Zweifel darüber, daß die Intelligenz oder die Fähigkeit zu kognitiven Leistun­gen in individuell variierendem Ausmaß angeboren sei. Auch wenn man die in einer Altersstufe faktisch feststellbare Leistungsfähigkeit als in Lernpro­zessen erworben ansah, hat man doch mit wenigen Ausnahmen eine indivi­duell verschieden ausgeprägte Fähigkeit zum Lernen angenommen und diese als Intelligenz definiert.

Folgerichtig enthalten eine Reihe von Intelligenztests Aufgabentypen, die einen direkten Bezug zu Lernprozessen besitzen. Es wird z.B. abgefragt, wie­viele Wissensinhalte sich ein Individuum angeeignet hat(SubtestAllgemei­nes Wissen im HAWIK), wobei von der problematischen Annahme chancen­gleicher Lernmöglichkeiten bei allen Individuen ausgegangen wird, oder es wird das augenblicklicheLernvermögen geprüft(z. B. SubtestZahlen­Symbol-Test im HAWIK), oder es werden Gedächtnisprozesse, die eine Vor­aussetzung für Lernen darstellen, getestet(z.B. SubtestZahlennachspre­chen im HAWIK).

Auch aus dem pädagogischen Bereich liegen eine Vielzahl von Beobach­tungen vor, die für eine positive Beziehung zwischen Intelligenz und(intel­lektueller) Lernfähigkeit sprechen(vgl. z. B. Wegener, 1969; Kleber, 1973). Intelligente Schüler begreifen schneller, benötigen weniger pädagogische Lernhilfen, behalten besser und erzielen in der Regel bessere Schulnoten. Nicht selten stützen sich Lehrer, die die Intelligenz ihrer Schüler beurteilen sollen, auf die Einschätzung von deren Lernfähigkeit.

Aus einer anderen theoretischen Sichtweite wird der Zusammenhang zwischen Intelligenz und Lernen deutlich, wenn man die intellektuelle Lei­stungsfähigkeit als Ergebnis überlernter Verhaltensweisen auffaßt(vgl. Fergu­son, 1954, 1956).

Versucht man, sich einen Überblick über die Ergebnisse empirischer Untersuchungen des Zusammenhangs zwischen Intelligenz und Lernen zu verschaffen(vgl. McGeoch u. Irion, 1952; Dunn u. Capobianco, 1959; Rapier, 1962; Ellis, 1963; Weinert, 1964; Kanter, 1967; Zeaman u. House, 1967; Klauer, 1969; Wegener, 1969; Guthke, 1969, 1972; Jeromin, 1974), so stößt man auf widersprüchliche Befunde, die nicht leicht zu integrieren sind. Es mangelt nicht an Arbeiten, in denen entweder keine Beziehung zwischen den beiden Konstrukten oder sogar negative Korrelationen ermit­telt wurden(z. B. Carlson u. a., 1945; Simrall, 1947; Eisman, 1958; von Bracken u. Kanter, 1960; Weinert u. Essing, 1962; Anderson, 1967; Schmidt, 1969). Simrall(1947, S. 43) folgerte aus ihrer Untersuchung:Die Ergebnisse dieser Studie konnten keine der neun Hypothesen bestätigen, die aus der operationalen Fassung der Theorie abgeleitet wurden, daß die Intel­ligenz mit der Lernfähigkeit identisch sei. Jedes Resultat steht dazu im Widerspruch...