Intelligenz und Hirnschädigung 193
formuliert. Diese basieren auf einer Analyse vorliegender Untersuchungsbefunde, bedürfen jedoch im einzelnen weiterer Überprüfung.
Grundhypothese H 1: In der Regel besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Intelligenz und(intellektueller) Lernfähigkeit.
Die Einschränkung„in der Regel‘‘ bezieht sich auf bestimmte Randbedingungen, die erfüllt sein müssen, damit sich der behauptete Zusammenhang zeigt:
— Die Lernaufgabe darf für die betreffende Personengruppe nicht zu leicht sein, so daß auch leistungsstarke Individuen(z. B. solche mit hohen Ausgangswerten) ausreichende Möglichkeiten der Leistungsverbesserung haben (kein„Deckeneffekt‘‘).
— Die Lernaufgabe muß eine ausreichende Anzahl von Lernschritten bzw. Lerndurchgängen umfassen(vgl. Garrett, 1928).
— Lernfortschritte sollten auf einer Skala gemessen werden, die mindestens Intervallniveau besitzt. Bestehen deutliche Schwierigkeitsunterschiede zwischen den Items einer komplexen Lernaufgabe, so müssen diese durch geeignete Transformationen berücksichtigt werden.
— Während des Lernprozesses dürfen nicht in kompensatorischer Weise differentielle Lernhilfen angeboten werden, die die bestehenden Unterschiede in der Lernfähigkeit verwischen könnten.
— Der Zusammenhang zwischen Intelligenz und Lernen ist möglicherweise bei bestimmten Lernaufgaben nicht linear: Innerhalb unterschiedlicher Intelligenzbereiche könnten unterschiedliche Zusammenhänge zwischen Intelligenz und globaler bzw. spezifischer Lernfähigkeit bestehen.
Die Grundhypothese H 1 kann durch zwei Teilhypothesen präzisiert werden, in denen das Konzept der„Lernfähigkeit‘‘ aufgeschlüsselt wird:
— Teilhypothese H 1.1: Unter der Voraussetzung gleicher Ausgangsleistung erreichen Intelligentere das Lernziel mit weniger Lernschritten(= steilere Lernkurve).
— Teilhypothese H 1.2: Haben Intelligentere ein höheres Ausgangs-Leistungsniveau in einer Lernaufgabe, so vergrößern sie im Verlauf des Lernversuchs ihren Leistungsvorsprung weiter gegenüber den weniger Intelligenten.
Grundhypothese H 2: Die Enge des Zusammenhangs zwischen Intelligenz und Lernverhalten hängt von der Art der verwendeten Intelligenz- und Lernaufgaben ab:
Diese globale Aussage läßt sich wie folgt präzisieren:
— Teilhypothese H 2.1: Die im Bereich der Intelligenzforschung gesicherte Erkenntnis, daß das Konzept der„allgemeinen Intelligenz‘ durch die Annahme mehrerer Intelligenzfaktoren abgelöst bzw. erweitert werden muß, gilt analog für das Konzept der„allgemeinen Lernfähigkeit‘‘: Statt von der Vorstellung einer„allgemeinen Lernfähigkeit‘“ auszugehen, ist es erforderlich, verschiedene aufgabenspezifische Lernfähigkeitsfaktoren zu unterscheiden(vgl. z.B. Pawlik, 1968; Aebli, 1969; Gagne, 1969).