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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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202 Peter Becker und Armin Schmidtke

Wahl verschiedener Lösungsstrategien? Beschäftigen sie sich länger mit der jeweiligen Problemstellung? Verwenden sie andere Problemlösungs- und Lern­strategien? Erste Hinweise auf eine Beantwortung dieser Fragen findet man u. a. bei OConnor u. Hermelin(1959), Klausmeier u. Loughlin(1961), Osler u. Trautman(1961), Osler u. Weiss(1962), Berkson u. Baumeister (1967), Ellis(1970), Heal u. Johnson(1970), Sullivan u. Skane(1971), Probst(1973), Borkowski u. Wanschura(1974).

Die in Abbildung 1 dargestellten Leistungskurven sowie die Ergebnisse von Guthke(1972) und Jeromin(1974) belegen, daß auch in einem kultur­fairen Intelligenztest infolge reiner Übung signifikante und z. T. beträcht­liche Leistungsverbesserungen möglich sind. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß gerade solche intellektuellen Aufgabenstellungen, die bisher wenig geübt werden konnten und relativ bildungsunabhängig sind, in besonderem Maße geeignet sind, neben der Denkfähigkeit einen weiteren wichtigen Aspekt der Intelligenz, nämlich die momentane(intellektuelle)Lernfähig­keit, zu messen.

Vermutlich dürften die übungsabhängigen Leistungssteigerungen in Intelli­genzsubtests, die eher den Umfang des bisher Gelernten erfassen(z.B.All­gemeines Wissen,Allgemeines Verständnis,Wortschatz-Test aus dem HAWIK) geringer ausfallen als die Leistungssteigerungen in Subtests mit neu­artigen Aufgabenstellungen(z.B. im HAWIK-Handlungsteil oder im Raven­Test).

Als einzige der von uns untersuchten Gruppen erzielten die schwach­begabten Hirngeschädigten keine signifikanten Leistungsverbesserungen. In Übereinstimmung mit den Befunden von Kraus u. Judd(1972) unterstreicht dieses Ergebnis die starke Lernbehinderung dieser Kinder. Es liegt auf der Hand, daß es besonders sorgfältig abgestimmter pädagogischer Hilfen bedarf, die Lernschwäche dieser Gruppe zu kompensieren.

Aber auch die durchschnittlich begabten Hirngeschädigten zeigen gerin­gere Leistungssteigerungen als die vergleichbar intelligenten Hirngesunden. Unter Bezugnahme auf die signifikante Wechselwirkung zwischen Hirnstatus und Testwiederholung(vgl. Tabelle 4) kann man mit gewissen Vorbehal­ten von einer Lernbehinderung beider von uns untersuchten Hirngeschä­digtengruppen sprechen. Auch hier müssen weiterführende Arbeiten genauere Aufschlüsse über die zugrundeliegenden kognitiven Prozesse liefern(vgl. auch Turnure u.a., 1973). Ollendick u. Finch(1973) fanden, daß sich hirngeschä­digte Kinder bei der Lösung der Items desMatching Familiar Figures Test impulsiver verhielten als eine Kontrollgruppe.

Unsere Ergebnisse sind von differentialdiagnostischem Interesse, und zwar in zweifacher Hinsicht. Einerseits vollzog sich im Verlauf des Lernversuchs eine zunehmend stärkere Trennung zwischen der Gesamtgruppe der Hirn­geschädigten und der Gruppe der Hirngesunden(vgl. Abbildung 1). Möglicher­weise könnten geeignet konzipierte Lerntests einen Beitrag zur Differenzie­rung zwischen Hirngeschädigten und Hirngesunden leisten. Andererseits mani­festierten sich die Lernbehinderungen nicht in gleichem Umfang bei allen Hirngeschädigten. Tests zur Messung der(intellektuellen) Lernfähigkeit könnten demnach auch zur präziseren Charakterisierung der Verhaltens­schwierigkeiten bestimmter Subgruppen von Hirngeschädigten herangezogen werden.