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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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210 Fredi Büchel

selber. Da jedoch die bekannten Defekttheorien von Sprach- und Media­tionsuntersuchungen ausgehen(Clarke und Clarke, 1974), scheint es berech­tigt, als Ausgangshypothese die linguistische Kontrolle der Kognition(Routh, 1973) zu nennen. Bedeutend weiter gehen Clarke und Clarke(1974), welche den festen Eindruck gewonnen haben, daß die meisten Defekttheoretiker

die Geistigbehinderten für neurologisch verschieden von einer Normalpopu­lation halten. Geistige Behinderung wird also verstanden als eine Mental Deficiency. Entsprechend diesen Vorannahmen werden psychologische Pro­zesse gesucht, welche beim Geistigbehinderten anders verlaufen als beim Normalintelligenten. Nach Heal(1970) betrachten sie den Geistigbehinder­ten als einen Menschen, welcher auf einem für ein bestimmtes Alter gedach­ten Kontinuum verschiedener intellektueller Verhaltensweisen unter einen ziemlich willkürlich festgelegten Wert abgesunken ist. Nicht zufällig weist Heal(1970) darauf hin, daß auch die Verhaltensmodifikation zu dieser Rich­tung zu zählen sei, da Verhaltenstherapeuten in der Geistigbehindertenpsy­chologie ja versuchten, Verhaltensfrequenzen Geistigbehinderter den Fre­quenzen ihrer normalintelligenten Lebensalterpaarlinge anzupassen. Als ent­sprechende Versuchspläne werden Paarvergleiche mit dem Lebensalter als unabhängiger Variable verwendet, wobei Unterschiede in den kognitiven Leistungen voraussagbar sind.

3. Geistigbehinderte sind nur ein Mittel zum Studium allgemeiner Lern­prozesse. Diese Theoretiker gehen von der Ziglerschen Annahme aus, daß Gruppenunterschiede bei gleichem Intelligenzalter nur auf Motivationsfakto­ren zurückzuführen seien. Ihr Forschungsinteresse ist das Studium von Lern­prozessen. Unterscheiden wir zwischen Lernprozessen und Lernprodukten (letztere werden in der Literatur häufig als Wissen und/oder Erfahrung bezeichnet), so können wir die Lernleistung als eine Funktion des Quotien­ten Lernprozesse x Lernprodukte+ nichtkognitive Variablen+ Störfaktoren betrachten. Wenn in dieser Argumentation Lernprodukte als eine Funktion des Alters angesehen und die nicht-kognitiven Variablen konstant gehalten werden, so kann angenommen werden, daß Geistigbehinderte nur deshalb gleich tiefe Lernleistungen bieten wie ihre Intelligenzalterspaarlinge, weil bei den Geistigbehinderten die Wirkung der Lernprozesse nicht voll zum Zuge kam. Zeigen die Geistigbehinderten gar tiefere Leistungen als die Kon­trollgruppe, so kann mit einiger Sicherheit angenommen werden, daß den geforderten Leistungen ganz bestimmte, im Prinzip isolierbare und identifi­zierbare Lernprozesse zugrunde liegen, die bei den betreffenden Geistigbehin­derten als gestört zu bezeichnen sind.

4. Geistigbehinderte werden als eigene Population, unabhängig von den Normalintelligenten, untersucht. Eine solche Betrachtungsweise hat in den letzten Jahren bei uns enormen Aufwind bekommen. Dieses Abweichen von den Vorstellungen einer biologischen Minusvariante könnte sich für die Heil­pädagogik positiv auswirken, sofern wir uns vor einer unangebrachten und fortschrittshindernden Romantik zu bewahren wissen. Die Forderung, den Geistigbehinderten in seinen eigenen Rechten(Heal, 1970) zu betrachten, kann weder als Forschungsziel noch gar als Strategieansatz verstanden wer­den. Sie ist eine willkürliche Vorannahme, über deren Berechtigung erst im