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für Streßwirkungen auf das ZNS angesehen(vgl. zusammenfassend Janke 1969, 66—78). Offenbar sind Lernbehinderte gegenüber Lärmstreß genauso anfällig wie höher intelligente Kinder; vielleicht sind sie ähnlich streßresistent wie Normalschüler, leistungsmäßig ebenso belastbar. Wenn dem so ist, könnte man fragen, ob Lernbehinderte gegenüber Volksschülern weiterhin in einem schulischen Schonraum aufwachsen und geringeren Leistungsanforderungen ausgesetzt werden sollen? Andererseits scheint es erwiesen, daß Lernbehinderte bei Abschluß der Sonderschule einen Leistungsrückstand gegenüber Volksschülern von mehreren Jahren haben(Bleidick 1966, 414; Ferdinand, Uhr 1973, 67).
Im weiteren Sinn stehen die Ergebnisse im Zusammenhang mit Aussagen über nichtintellektuelles Verhalten von retardierten Kindern. Mehrere Autoren berichten über zunehmende Bewegungsantriebe(Verhaltensstereotypien) bei Verstärkung von weißem Rauschen(Forehand, Baumeister 1970, 427 ff£.; Levitt, Kaufmann 1965, 730 f£.; Higenbottam, Chow 1975, 233). In der Blue-Studie zeigen Intelligenzbehinderte bei 75 dB Lautstärke tendenziell höhere geistige Leistungen als Normalintelligente. Offenbar sind Behinderte aktivierbar(er) durch Lärm und es treten in der vorliegenden Studie deshalb keine Minderleistungen der Minderintelligenten auf, weil letztere durch stärkere, lärminduzierte Gegenaktivierung Unterschiede kompensieren.
Zwar sind die vorliegenden Ergebnisse exakt, aber sie müssen mit Einschränkungen gesehen werden, weil sie an kleinen Versuchsgruppen erhoben sind und mit fehlender Repräsentativität zu rechnen ist. Überdies sind sie vorläufig, müßten psychologisch und/oder physiologisch weiter untersucht werden, z.B. durch EEG-Messungen bei lärmexponierten Lernbehinderten und Normalschülern während geistiger Arbeit.
Anmerkungen
1) Dieser Aufsatz ist der erste Teil einer dreigliedrigen Erkundungsstudie über Lärm und Leistung bei Lernbehinderten. Teil 2 und 3 sind in Vorbereitung. Mein herzlicher Dank gilt den Hamburger Kollegen Born, da Silva, Goerke, Jeglitza, Nestler, Salkowsky, Schilling, Schult, Thiemann, Treess, Waschlewsky, Wiechmann.
2) Die bewertete dB(A)-Messung des Lärms verrechnet und erfaßt skalenmäßig den objektiv abgestrahlten Schalldruck und den subjektiv erlebten(Stör-)JEffekt. 25/30 dB(A) entsprechen unbewertet 40/45 dB; 70/75 dB(A) entsprechen unbewertet 83/88 dB.
3) Die Untertests„Zahlenrechnen‘‘ und„Textaufgaben‘‘ erfassen typische Merkmale des Kurzzeitgedächtnisses wie kurzfristiges Speichern von Zahlen, Zwischenlösungen und Textzusammenhängen.
Literatur
Bleidick, U.: Rechenleistungen in Hilfsschulen und das Problem der Rechendidaktik. Z. Heilpäd. 17, 1966, 409-426
Bleidick, U.: Über Lernbehinderung. Begriffliche und psychodiagnostische Überlegungen. Z. Heilpäd. 19, 1968, 449-464
Bleidick, U.: Pädagogik der Behinderten. Berlin(Marhold) 1972