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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Der Einfluß des soziokulturellen Status der Eltern 235

überhaupt, nur am Rande gesehen. Dabei ist der Zusammenhang zwischen dem spezifischen Verhalten einer Schicht in der Praxis durchaus zu erken­nen. So zeigte sich, daß von der Möglichkeit eines Berufungsverfahrens gegen die Sonderschuleinweisung, wie dies nach dem$ 8 des Schulpflichtgesetzes 1962 möglich ist!®), vor allem Eltern aus höheren sozialen Schichten Ge­brauch machen.

Der Weigerung, einzusehen, daß das Kind die nötigen Leistungen für die Normalschule nicht zu erbringen vermag, folgt meist auch ein uneinsichtiges Beurteilen bezüglich der Berufsmöglichkeiten des Kindes. DasZur Kennt­nisnehmen der Behinderung fällt den Eltern um so schwerer, je geringer die äußeren Anzeichen eines Defektes und je geringer der Grad der Behinde­rung sind, also je weniger das Kind auffällt. Da aber andererseits das schwach­begabte Kind durch seine Behinderung von den Eltern abhängiger ist und auch länger abhängig bleibt, ist es auch Fehlererziehungsformen mehr aus­geliefert. Um das Fehlererziehungsausmaß minimal zu halten und dadurch eine bessere Entwicklung für das Kind zu ermöglichen, wurde die Ausein­andersetzung mit dem aufgezeigten Problem für das heilpädagogische Han­deln relevant. Dabei soll den Eltern bei der Aufgabe, ihr behindertes Kind zu erziehen, eine Hilfestellung geboten werden. Roos!) bietet in seinem AufsatzPsychologische Beratung mit Eltern retardierter Kinder eine Zu­sammenfassung über die Situation der Eltern eines behinderten Kindes, die auch von Ross!8) in dem BuchDas Sonderkind* vertreten wird. In Deutsch­land(Ross und Roos sind Amerikaner) sind ähnliche Gedanken bei Ber­nart!?) und Müller-Küppers?°) zu finden. Dabei wird das Problem folgender­maßen gesehen:

Viele Eltern erleiden einen Verlust an Selbstwertgefühl, wenn sie eine Retardation bei ihren Kindern feststellen. Denn in unserer Kultur werden Kinder oft als Weiterführung des eigenen Selbst betrachtet und die Eltern identifizieren sich dann eng mit dem Kind und sind stolz auf seine Leistun­gen. Ein ernster Defekt des Kindes wird leicht von den Eltern als eigener Defekt erlebt. Daher glaubt oft ein Elternteil, den Ehepartner, die eigenen Eltern oder auch andere Familienmitglieder zu enttäuschen, wenn ein Kind einen Defekt hat.

Eng verbunden mit dem Verlust an Selbstwertgefühl ist nach Roos das Schamgefühl, das viele Eltern empfinden. Sie erwarten Ablehnung, Mitleid oder Lächerlichkeit, nicht zuletzt auch Prestigeverlust. Nicht selten ziehen sich Eltern zurück vom Verkehr mit anderen Menschen, weil sie Zurückset­zungen fürchten. Durch die Erwartung einer Frustration durch die Umwelt wird ihr Verhalten gegenüber anderen stark beeinflußt, die sich durch deren Verhalten befremdet zurückziehen. Dies bedeutet aber für die Eltern eine neuerliche Frustration. Andererseits werden die Eltern auch ständig aufs Neue von den Leistungen des Kindes enttäuscht. Diese permanenten Ent­täuschungen führen zu Verbitterung, Empfindlichkeit und Feindseligkeit gegen das Kind. Aus dieser Ablehnung des behinderten Kindes heraus ent­stehen jedoch Schuldgefühle der Eltern gegenüber dem Kind, da diese wis­sen, daß das Kind schuldlos an seinem Zustand ist. Dadurch kommt es zu einem stark wechselnden Erziehungsstil. Denn einerseits ist das Kind einer Überforderung ausgesetzt, da die Eltern versuchen, es doch noch zunor­