Heft 
(1956) 5
Seite
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Jagomir, der Wendencrole, warb um die schöne Roswitha von Mellen. Diese aber hatte ihre Liebe einem Christen zugewandt und achtete weder auf Jagomirs Werben noch auf ihres eigenen Vaters Zureden. Da schwor Jagomir am Opferstein bei den Göttern seiner Väter, er wolle das Blut des Christen eben hier den Göttern zum Opfer bringen, wolle überhaupt die Christen vertreiben und dem Wendenvolke die alten glücklichen Zeiten wieder herbeiführen, alsdann mit Roswitha vereint. Den ersten Teil seines Schwurs führte er aus. Der Christ, bei einer Zusammenkunft mit Ros­witha innerhalb des Steingeheges überrascht, verblutete unter seines Schwertes Schlägen am Opferstein. Doch weiteres gelang ihm nicht. Ros­witha mied ihn nun erst recht. Sie saß, ohne Speise zu sich zu nehmen, Tag und Nacht am Steine, bis der Tod sie erlöste. Das Volk,ringsum aber Verabscheute ihn ob des feigen Mordes. Niemand beachtete seinen Ruf, den schon wankenden Dienst der alten Götter zu erneuern. Vielmehr viele waren ergrimmt, daß die Deutschen, die bereits Oberherren im Lande waren, um seiner Untat willen den Wenden Mißtrauen zeigten und sie übel behandelten. Friedlos floh Jagomir und ist in weiter Ferne rühmlos um­gekommen. Roswitha aber ist in hellen Mondnächten noch heutigen Tages am Blutstein zu sehen, wie sie die Hände ringt und weint über das ihr und den Ihrigen freventlich zerstörte Lebensglück.

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ROTTRANG

Bei dem an der Elbe gelegenen Dorfe Wustrow ist ein ehedem von einem Elbhochwasser zurückgebliebenes tiefes Brack, das den eigenartigen Namen Rottrang trägt. Von ihm erzählt der Volksmund folgende Sage, die Handt- mann aufgeschrieben hat.

Als das Land der Prignitz noch von den Wenden bewohnt war und als man anstatt Christus noch den dreiköpfigen Gott Triglav verehrte, also ungefähr um das Jahr 1000, brachte einmal die Elbe ein gewaltiges Hoch­wasser. Die Fluten des Elbstroms flössen mit dem Wasser der in zwei Kilometer Entfernung parallel laufenden Löcknitz zusammen, und der Ort Wustrow war vom Untergang bedroht. Da schickten die Leute aus Wustrow eiligst Boten zum nahen auf dem Kästenberge (dem späteren Marienberge) bei Lenzen liegenden Heiligtum der Wenden, um die Gottheit um Hilfe anzuflehen. Der Gottesspruch, übermittelt durch den Mund der Priester, lautete:

Der Gott verlangt sein Opfer!

Laßt es ein freiwilliges sein.

Ja, nun war guter Rat teuer. Wer würde sich opfern? Wer würde freiwillig ins Wasser gehen? Nach langem Hin- und Herreden machte der Dorf-

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