Heft 
(1956) 5
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Prignitz. Hundert Jahre später kommt es auf dem rechtsseitigen Elbufer, auf dem Boden unserer Heimat, zum größten Treffen zwischen Slawen und Germanen. Am 4. und 5. September 929 wird die gewaltige Schlacht bei Lenzen geschlagen. Der Chronist berichtet von 200 000 Toten. Es muß ein mörderisches Ringen gewesen sein, und so ist es nicht verwunderlich, wenn dieses größte kriegerische Ereignis auf unserem heimatlichen Boden, das man heute noch in einem großen Schlachten-Diorama in Lenzen miterleben kann, in unserer Sagenwelt lebendig geblieben ist.

Die vielen Toten dieser Schlacht, die keinen Pardon kannte, können keine Ruhe finden. Vornehmlich sind es die Wenden, die des Nachts herum­geistern. Sie verloren nicht nur ihren König, sondern Unzählige aus ihren Reihen blieben auf der Wahlstatt oder kamen elendiglich in den Sümpfen und Gewässern um. Wer sich heute in der dortigen Gegend abends auf dem Heimweg verspätet, hört in der Dunkelheit ein beängstigendes Kreischen, Schreien und Rufen. Auf der Feldmark Seedorf erscheinen in hellen Nächten schwertgegürtete Wenden, den Kopf unter dem Arme. Einmal sind, wie bei Heuer zu lesen ist, einem Manne aus Bäkern in der Johannis­nacht zwölf Wedenfürsten in glänzenden Panzern begegnet. Sie stiegen vor seinen Augen in die Löcknitz hinab und winkten ihn zu sich. Er ist bald danach in der Löcknitz ertrunken.

In den Bäkemschen Kohlgärten pflegt an Spätsommerabenden suchend ein großer weißer Hund herumzustreifen. In den Wiesen zwischen Mödlich und Seedorf geistern nachts weiße Rosse umher, oder es erscheint ein riesiger weißer Hund ohne Kopf, dem ein fürchterliches Gewimmel und Getümmel von sonderbaren Gestalten folgt. Von vorn gesehen erscheinen sie wie Hunde, von hinten wie Menschen ohne Kopf. Alle toben in rasender Eile übers Moor hin und stürzen mit fürchterlichem Geheul ins Wasser. Wer solche Erscheinungen sieht, den pflegt noch in demselben Jahr der Tod zu holen.

Groß ist die Zahl der Geschichten, die von mancherlei Schätzen erzählen, die die Wenden nach der verlorenen Schlacht oder auf .der Flucht vergruben oder ins Wasser warfen. In einem Sumpfloche bei Moor soll die Krone des gefallenen Wendenkönigs liegen. Auch im Bäkernschen Fischteiche ist Wendengold verborgen. In manchen Nächten glüht es hervor wie feurige Kohlen. Ein Schneider aus Seedorf hatte sich in der Sylvesternacht 1800 mit solchen Kohlen die Pfeife anstecken wollen. Als er am nächsten Morgen in den Pfeifenkopf schaute, lagen Goldklümpchen darin.

In der Gadower Forst stand unter anderen mächtigen und seltenen Bäumen bis in unsere Zeit die uralteHeideneiche, die als solche weithin bekannt war. Es ist nun bald zwanzig Jahre her wir hatten das Nazideutsch­land, da standen wir in einem Kreis Heimatfreunde ehrfurchtsvoll vor diesem mächtigen Baum. Er hatte sichtlich sein Lebensende erreicht und war nur noch ein absterbender riesiger Stumpf. Jemand stellte an den

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