Heft 
(1956) 6
Seite
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Wir stehen vor der großen Front des Nähmaschinenwerkes, wenden uns nach rechts und folgen der leicht ansteigenden Straße auf die Brücke. Zuerst betreten wir die gemauerte Stepenitz- oder Hafenbrücke. Nach rechts ist der Blick durch einen hohen Betonzaun gehemmt, links öffnet sich die Aussicht auf die zwei bedeutendsten Produktionsbetriebe: gerade vor uns die Zellulose- und Zellwolle-Werke, links die Kaimauer und die Gebäude des Nähmaschinenmerkes. Direkt vor uns vereinigen sich zwei Flüsse: in Blickrichtung von rechts die Karthane und von links die Stepenitz. Vereinigt fließen sie durch das Hafenbecken ihrer Einmündung in die Elbe zu. Die Zellulose- und Zell wolle-Werke stehen auf künstlich angeschwemmten Grund zwischen beiden Flüssen.

Wenige Schritte bringen uns an die Elbe auf den Elbdeich, von dem aus wir einen Blick auf die Stahlkonstruktion der Brücke werfen können. Der erste Pfeiler im Strom wurde am Ende des zweiten Weltkrieges von ver­brecherischen Menschen gesprengt, die Verbindung zwischen Nord und Süd, zwischen Prignitz und Altmark riß ab. Sehr bald war sie zuerst in Holz und später in Stahl vorläufig wieder hergestellt. Heute sind die Brückenbauer dabei, das ursprüngliche Gesicht der Brücke, die in ganzer Länge geschwungenen Brückenbalken, zu montieren.

Beim Rückweg zur Stadt bleiben wir einen kleinen Augenblick an der Stelle stehen, wo wir die Brücke verlassen und das feste Ufer wieder betreten. Dieses Gelände, das heute durch Eisenbahndamm,' Straße und Nähmaschinenwerk sein Gesicht erhält, trägt auf alten Karten die Be­zeichnungenBurgberg undAltstadt. Diese Bezeichnungen und Funde, die man bei den Bauarbeiten machte, bestätigen die alte Sage von der Burg Wittenberge und dem Schicksal deredlen Kunigunde. Hier hätten wir die erste Siedlung zu suchen, aus der später dasStädtlein und noch später die Industriestadt Wittenberge hervorging. Heute ist nichts mehr von Burgwällen oder Mauerresten zu entdecken, und auch der alte Eichen­bestand ist der Axt zum Opfer gefallen. Das Holz (ahdt. witu) und die Burg (Berge im Sinne von Herberge) sollen der Stadt den Namen gegeben haben; der Volksmund leitet einfacher von weißen (plattdt. witten) Bergen ab.

Die Unterführung lenkt unsere Schritte in die Bad-Wilsnacker-Straße. Sie verläuft parallel zum Hafen, der sich links von uns hinzieht. Hier fand das älteste Industriewerk, kurz Ölmühle genannt, seinen Platz. Seit seiner Gründung im Jahre 1823 ist dieses Unternehmen ständig gewachsen und immer wieder modernisiert worden. Zweimal gehen wir über Eisenbahn­schienen: zuerst über die Werkgeleise der VEB ölwerke und dann über die Schienenverbindung zwischen Hafen und Bahnhof. Diese Verbindung machte Wittenberge verkehrstechnisch so wichtig für die Landschaft; er­möglicht sie doch den schnellen Umschlag von Gütern aller Art vom Wasser- auf den Schienenweg und umgekehrt. In der Folge sehen wir

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