Heft 
(1956) 6
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dann das Elektrizitätswerk, Speicher und Umschlag- und Lagerplätze für Massengüter. Rechts fallen uns am Ende der Straße ein Backstein- und zwei Fachwerkbauten auf. Das erste ist das ehemalige Waisenhaus, das erste Fachwerkhaus das ehemalige Schwesternheim; heute sind diese Gebäude Kinderheim. Das zweite Fachwerkhaus beherbergt die Sonder­schule.

Die Bad-Wilsnacker-Straße endet an der Zollstraße, der wir nach links folgen. Der Name der Straße erinnert an die Vergangenheit Wittenberges als Zollplatz. Als solcher hatte die Stadt besonders in der Zeit von 1819 bis 1869 besondere Bedeutung. Preußen hatte alle Elbzollplätze aufgelöst und als einzigen Wittenberge an seiner Westgrenze bestehen lassen. Vier Staaten, Preußen, Mecklenburg, Hannover und Dänemark waren an der Zollabfertigung beteiligt und stationierten 1819 insgesamt 80 Zollbeamte am Ort. Reger Verkehr im Hafen und besonders in den damals zahlreichen Schänken der Stadt waren neben allgemeinem wirtschaftlichem Auf­schwung für Kleingewerbetreibende und Handwerker die Folge.

Aus der Zollstraße kommen wir durch die Hafenstraße auf den Hafendeich. Der Blick über die Elbbrücke, über die im Hintergrund liegenden Zellwolle- und Nähmaschinenwerke, über die ölwerke und Speicher, über das Hafen­becken mit den Kähnen und den Ver- und Beladeeinrichtungen und über die Bootshäuser der Sportgemeinschaften auf dem Deich zwischen Hafen und Elbe wird frei.

Wir gehen auf dem Deich weiter bis zur GaststätteGoldener Anker und wenden uns hier nach rechts. Vor uns haben wir zwei Straßen: links Burg­und rechts Steinstraße. Hinter der Burgstraße verschwindet eine unschein­bare Gasse zwischen kleinen Häusern. Hier stehen wir am Anfang der heutigen Altstadt, die wahrscheinlich im 13. Jahrhundert nach hier verlegt wurde. Auffällig ist ihre Ellipsenform; der Volksmund spricht von kahn­förmig. Hier soll einst als Wächter und Ausguck zur Elbe ein Turm, ähnlich dem Steintor gestanden haben. Am Anfang der Burgstraße, in die wir einbiegen, beachten wir ein Haus mit einer Gedenktafel, die uns mitteilt, daß hier vom 7. bis 9. Mai 1813 der Dichter und Freiheitskämpfer Theodor Körner wohnte. In der Mitte der Altstadt steht die evangelische Kirche, erbaut 1870 bis 1872. Hier ist auch der alte Marktplatz. Über ihn hinweg gehen wir in die Steinstraße. Sie war einst die Geschäftsstraße der Stadt. Einige Schritte, und wir sehen, daß am Ende der Steinstraße ein alter Turm, das Steintor, steht. Dieses Stück Steinstraße vom Kirchplatz bis zum Steintor wirdtanzende Straße von den alten Einwohnern genannt; eine sehr treffende Bezeichnung. Wie im Tanz neigen sich nämlich die Häuser nach vorn oder hinten, nach links oder rechts. Ursache dafür mag die Tat­sache sein,' daß die heutigen Häuser der Altstadt auf ca. 1,20 m hohem Brandschutt stehen. Wittenberge ist in der Vergangenheit oft abgebrannt und immer wieder an derselben Stelle aufgebaut worden. Der letzte große

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