hunderte gestanden, füllten nun den Uferkanal. Auf hölzener Behelfsbrücke über den unteren Mühlenkanal rollten wochenlang die pferdebespannten Loren zur Uferstraße hin. Mancher bejahrte Eingeborene bewahrt dieses Schauspiel noch als Erinnerung aus seinen Kindheitstagen. Der Uferkanal führte in der Frühzeit der Stadtgeschichte den Namen „Schiffsgraben“, die ihn begleitenden schmalen Randstraßen hießen „Am Ufer“. Ja, Perleberg trieb einmal Schiffahrt. Flache Wasserfahrzeuge — als Schuten würden wie sie heute bezeichnen — wurden auf der Stepenitz mühselig gestakt oder von Uferpfaden aus getreidelt. Sie vermittelten einen Warenverkehr von und nach Wittenberge, der dort an die Elbe- Schiffahrt nach Hamburg Anschluß fand. Aus alten Urkunden kennen wir die Waren, die ein- und ausgeführt wurden. Darunter waren in späterer Zeit auch solche aus Übersee, und „mit Indiens Gut befrachtet“ legten die Schiffe im Perleberger Hafen an. Er hieß „die Ablage“ und befand sich etwa da, wo in der Abb. 1 die drei Kinder stehen. Im 16. Jahrhundert kam die Schiffahrt zum Erliegen, der Schiffsgraben verödete, wurde nicht mehr gepflegt, verschlammte und verdreckte zusehends durch Müll und Unrat aller Art, den die bequemen Anwohner ihm einverleibten. Den Verlauf des Ufergrabens zeigt der auf Seite 170 abgebildete alte Stadtplan. Ebenso wie die beiden Stepenitzarme, die den mittelalterlichen Stadtkern umschließen, war auch der Ufergraben ursprünglich ein -natürlicher Wasserlauf, eine Querverbindung — und wahrscheinlich nicht die einzige — zwischen beiden Flußarmen. Er ist dann in doppelter Weise geschickt genutzt und künstlich ausgebaut worden: einmal als Burggraben um die Stadtburg, den Wall, und zum anderen als Schiffsgraben, als Wasserweg, der bis ins Herz der Stadt führte. Es scheint, daß früher Wasser aus dem Mühlenkanal durch öffnen eines Wehrs am Wall „nächtlich wenigstens hindurchgetrieben“ wurde, um ihn zu durchspülen, während tagsüber das gesamte Wasser des Mühlenkanals zum Betrieb der Stadtmühle gebraucht wurde.
Einer Erklärung bedarf für die meisten Leser noch die dritte Strophe des Gedichts. Sie nimmt darauf Bezug, daß bei den Erneuerungsarbeiten ander St.-Jakobi-Kirche in den Jahren 1851/54 unersetzliche Urkunden zum Verkleben der Orgelpfeifen verwendet wurden. Man darf schon etwas deutlicher als unser Dichter sagen: was hier aus Geiz und Unverstand ge- frevelt wurde, stank zum Himmel — wie der Ufergraben. Jedoch, ob Ufergraben oder Orgelkammer, es fehlte hier wie dorten — eine einflußreiche Nase.
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