Heft 
(1957) 6
Seite
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Horn, und alle Stalltüren wurden geöffnet. Das Vieh, meistens Kühe, Schafe, Schweine und z. T. Pferde, stürmte ins Freie und wurde auf die Weide getrieben. Als Hilfsmittel benutzten die Hirten selbstgeflochtene Peitschen. Diese bestanden aus einer Weidengerte und kunstvoll darum­geflochtenen Ziegenlederbändern, die auch selbst gegerbt waren.

Im Herbst kam dann die Obsternte. Man pflückte das Obst oftmals in selbstgeflochtene Wurzelkörbe, welche aus Kiefernwurzeln kunstvoll ge­flochten waren. Ein Maß, z. T. auch für Obst, war das Viert. Es faßte 24 Liter, also rund 24 kg.

Der Winter brachte für unsere Vorfahren die meiste Hausarbeit. Schon früh am Morgen, mit den Hühnern stand der Bauer auf. Der Dreschflegel wurde aus der Tennenecke geholt, und so rückte man dem Korn zu Leibe. Das Getreide wurde so hingelegt, daß die Ähren nach einer Richtung zeig­ten. Nun schlug man im Takt auf die Ähren. Hatte man diese Lage aus­gedroschen, hob man das Stroh mit der Gaffel von den Körnern. Die Gaffel ist ein Vorläufer unserer Gabel. Sie ist praktisch nur eine Astgabel. Hatte man genug gedroschen, sonderte man die Spreu vom Getreide. Ganz zuerst ließ man den Wind durch die Tennepusten, später entstanden schon die ersten Siebe. Das Getreide maß man mit dem Scheffel. Dieses Hohlmaß faßt etwa 55 Liter. Manchmal mahlte man das Getreide sogar zu Hause. Man maß das Mehl mit der Mehlmetze ab. Wer aber glaubte, jeder könne sein Maß machen, wie er wollte, der sah sich getäuscht: alle Maße, ob Viert, Scheffel, Mehlmetze oder Unzel, wurden laufend vom Gericht, das damals in Perleberg war, geeicht. Der Unzel (oder auch Desen) war der ersteWaagentyp. Mit ihm wog man Gemüse, Fleisch und dergleichen mehr ab. Unsere Vorfahren buken sich auch das Brot selbst. Davon zeugt einSchwibbogen, ein Ofen, der im Halboval gebaut wurde und in dem man sechs Brote zugleich backen konnte.

Die Winterabende waren langweilig, denn man konnte nicht ins Kino oder Theater wie heute. Auch gab es damals noch keine Versammlungen. Man mußte also die Langeweile mit Arbeit überbrücken. Und die gab es. Die Frauen saßen bis spät in die Nacht hinein am Webstuhl- und webten, die Männer aber flochten jene Wurzelkörbe. Und das alles bei einer blakenden Olfunzel oder bei einer rußenden Petroleumlampe. Sehr interessant war auch der Hausrat unserer Vorfahren. So stand zum Beispiel bei jeder Mahlzeit buntes Geschirr auf dem Tisch. In jedem Haushalt war auch ein lederner Feuereimer vorhanden. Brach einmal im Dorf Feuer aus, so bil­deten die Einwohner eine Kette. Der erste stand am Dorfteich, der letzte am Brandherd. Die Feuereimer liefen von Hand zu Hand. So bekämpfte man gemeinsam das Feuer.

An Hand zahlreicher Gegenstände in unserer Heimatstube läßt sich so das Leben unserer Vorfahren genau verfolgen. Es ließe sich so noch ein ganzes Buch darüber schreiben.

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