Heft 
(2020) 27
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124 Schriftenschau Otis 27(2020) S chulze -H agen , K.& G. K aiser (2020): Die Vogel­WG. Die Heinroths, ihre 1000 Vögel und die Anfänge der Verhaltensforschung. Knesebeck GmbH& Co. Verlag KG, München. 271 Seiten. ISBN 978 -3 -95728 -395 -5, 22,00 . Oskar Heinroth(1871–1945) war als Begründer der vergleichenden Verhaltensforschung zweifellos einer der bedeutenden Ornithologen des 20. Jahrhunderts. Trotzdem ist sein Werk heute nur noch wenig be­kannt. Nachdem vom Erstautor in Fachzeitschriften bereits Analysen seiner wissenschaftlichen Beiträge veröffentlicht wurden, folgt mit diesem Buch eine populärwissenschaftliche Vorstellung des Ehepaars Heinroth und seines Werkes. Heinroth war 30 Jahre lang Direktor des Ber­liner Aquariums und betrieb die Vogelkunde nur in der Freizeit. Weder Faunistik noch Systematik oder Physiologie waren sein Steckenpferd, sondern er beschäftigte sich mit den Details des Verhaltens der heimischen Vögel. Zu diesem Zweck vollbrachte er mit seiner Frau Magdalena die fast unglaubliche Leistung, 250 heimische Vogelarten in der eigenen Wohnung vom Ei ab aufzuziehen und ihre Entwick­lung in Text und Foto genauestens zu dokumentie­ren – vom Wintergoldhähnchen bis zur Großtrappe. Das Buch stellt zunächst die Lebensläufe der Heinroths vor und schildert, wie es zu dem Vorhaben der Vogelaufzucht kam. Auch Heinroths Bedeutung als Ornithologe wird beschrieben(er war unter an­derem auch Vorsitzender der Deutschen Ornitho­logischen Gesellschaft). Den Hauptteil des Buches bilden Auszüge aus dem Hauptwerk des Ehepaares, dem vierbändigen WerkDie Vögel Mitteleuropas, illustriert mit einer großen Anzahl von Fotos, die aus dem Buch und Archiven entnommen worden sind. Das ist eine ebenso vergnügliche wie faszinieren­de Lektüre. Vergnüglich, weil es bei einem solchen Vorhaben natürlich an komischen Begebenheiten nicht mangelt – vom Schwarzspecht, der den Stuck an der Zimmerdecke abhämmert, Kolkraben, die einen gestohlenen Schlüsselbund auf dem Dach des Nachbarhauses deponierten oder der Wasserralle, deren furzähnliche Rufe Besuchern erklärt werden mussten. Faszinierend, weil die Heinroths mit den angeborenen Verhaltensweisen der Vögel so vertraut wurden wie niemand sonst. Und weil sie es nicht bei der Anhäufung dieses Wissens beließen, sondern es meisterhalft verstanden, das beobachtete Vogelver­halten in Beziehung zur Lebensweise der Vögel im Freiland zu setzen und seine biologische Bedeutung auf diese Weise zu interpretieren. Wer Detailangaben und Fotos zur Entwicklung und Altersbestimmung von Nestlingen und Dunen­jungen sucht, wird bis heute nirgendwo so umfas­sende Angaben finden wie in den fast hundert Jahre alten Bänden derVögel Mitteleuropas, die in grö­ßeren Bibliotheken nicht selten zu finden sind. Die Bände sind nun digitalisiert und online über digital.staatsbibliothek-berlin.de einsehbar.Und wer sich für Vogelverhalten interessiert, wird sich gerne in das Werk vertiefen. Es ist sehr verdienstvoll von den Autoren, dieses bedeutende Werk wieder in den Blick der Fachöf­fentlichkeit gerückt zu haben. Ihr Buch ist dabei viel mehr als nur eine ergänzte Wiedergabe von Aus­zügen aus den Originalbänden, denn mit Hilfe des Original-Nachlasses und akribischer Quellensuche in der Literatur konnten sie in Text und Bild ein um­fassendes Bild des Forscherehepaars und ihres Wer­kes zeichnen. Wolfgang Mädlow