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Greban — zu übertragen. Aber an Tiefe des Gemüts, an echt naiver Frömmigkeit und volkstümlicher Kraft sind die schlichten deutschen Texte diesen kunstvollen, schönen Versen bei weitem überlegen.
Nun habe ich den Versuch gemacht, der alten Unterlassungssünde ein Ende zu machen, und dem Deutschen Passionsspiel zu dem Platz zu verhelfen, den es längst verdient hätte. — Dabei war eins zu bedenken : Die alten mir vorliegenden Mysterien hatten es sich zum Ziel gesetzt, eine Art aufgeführte Bibel darzustellen, ihre Aufführung — sie brachte es bis über 800V Verse — erforderten oft mehrere Tage, ihr Stil war von vornherein mehr episch als dramatisch bestimmt. In dieser Form die Spiele neu vorzulegen, wäre ein aussichtsloses Unternehmen gewesen, also galt es, alles Weitschweifige, alles Gestrüpp, das das Schöne überwucherte, sortzuschneiden, damit das Wesentliche in reiner Klarheit Heraustral. So habe ich eine Sichtung unternommen und nun das Wertvollste der alten Spiele unter dem neuen Gesichtspunkt dramatischer Wirkung zu einem großen Ganzen vereinigt. Der dadurch gegebene Text ist aber Wort für Wort der alte, der schon unsere Väter erschütterte und erbaute.
Will man ihm ganz gerecht werden, so muß man beachten, daß die alten Verse unmittelbar für die Aufführung, also zum Sprechen, und nicht zum stillen Lesen geschaffen waren; alle Armut der Sprache und kindliche Dürftigkeit der Reime tritt zurück, sobald man die Verse spricht, dann geht einem ihr geheimes Leben erst auf, und plötzlich packt einen die tiefe Innerlichkeit dieser alten, unbeholfenen Worte mit erschütternder Gewalt.
Aus dem Passionsspiel: 2. Handlung. 2. Bild.
Vor dem Haus des Pilatus, iZwischen zwei Türen eine Treppe, oben ein Portal. Maria kommt und sucht nach ^zesus)
Maria: O Du mein allerliebstes Kind, warum hau sie Dich mir genommen?
Wohin bist Du heut' deiner Mutter gekommen?
Wo find ich Dich, wohin soll ich nach kehren,
Mit Dir so wollt' ich leiden gern.
Sollt ich Dich in meinem Leben noch sehn, auf Erd mvcht' mir nicht besser gescheht!!
<Sie kommt vor die untere verschlossene Tür)
O Du mein herzlieber Sohn,
Stehst Du da innen gebunden nun?
Nun sollst Du sterben unerhört,
Kein Nebel ist je von Dir gehört!
Wer mich doch ließe durch die Tür, daß mir ein Anblick werd' von Dir.
(klopft an die Tür. Alles bleibt still. Nach einer Weile kommen singend)
Kriegsknechte: Hauen, Stechen, Schlagen, Morden ist jetzund Soldateubrauch, hier und dort, au allen Orten, wie ich's gelernt, so lieb ich's auch.
